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Alt 06.04.2003, 14:12
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Standard Herbsttörn - Von der Müritz nach Wolfsburg - 2002

Über die Kanäle nach Hause

oder

Ein Segler geht fremd...


"Doch, ich würde schon von mir sagen, dass ich spontan bin.
Ich glaube es ist spontan, von einem Tag auf den anderen ein warmes Bett gegen ein kleines Boot ohne Heizung bei Temperaturen um die 2°C einzutauschen, nur damit die verbleibende Woche der Herbstferien sinnvoll genutzt wird."
Dieser Gedanke geht mir am Dienstag, den 8. Oktober durch den Kopf, als ich abends vor meiner dritten Schleuse mitten im tiefsten Wald Mecklenburgs liege.
Ich denke zurück an die vergangenen Tage. Eigentlich war ja nur ein kleiner Segeltörn zum Saisonende auf der Müritz geplant. Am Sonntag wollten mein Vater Manfred und ich nach Röbel fahren, am Montag segeln und am Dienstag unsere Shark 24 kranen und mit nach Hause nehmen.
Am Samstagabend, einen Tag vor der Abfahrt, kam ich jedoch auf die Idee unsere Shark dieses Jahr auf dem Wasserweg nach Hause zu bringen. Schließlich hatte ich noch eine Woche Ferien und wollte diese nutzen! Auf der Karte sah die Strecke auch ganz simpel aus: Erst nach Plau, dann die Elde runter bis zur Elbe, "Schätze zwei bis drei Tage!", die Elbe bis Lauenburg, "Oh, da schiebt mich sogar die Strömung von hinten!", und dann nur noch fix den Elbe-Seiten-Kanal runter bis Wolfsburg,
"Dann bin ich schon am Sonntag zuhause und kann Montag wieder zur Schule! Den Mast kann Manfred ja auf dem Trailer mitnehmen, der ist mir ab Waren eh nur im Weg..."
Meine Eltern waren zwar nicht begeistert von der Idee, trauten mir sechzehnjährigen diese Fahrt aber zu!
Voll beladen mit mehreren Decken, warmen Klamotten, Schlafsäcken und dem Trailer am Haken erreichten wir Sonntagnachmittag Röbel. Der Hafen war zu unserem Erstaunen fast leer und die Stege wurden von den Enten regiert. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir alles an Bord gekarrt hatten und nach dem Füllen des Wassertanks war der Wasserpass verschwunden!
Am Montagmorgen ging es nach dem Proviant- und Benzinbunkern (insgesamt 45 Liter Benzin) zuerst unter Segeln über die stürmische Müritz nach Waren. Es war kaum ein Boot im Hafen und wir konnten unter segeln anlegen. Dort wurde schnell der Mast gelegt und schon ging es als Motorboot über den Kölpinsee und den Fleesensee nach Malchow. Den Wasserwanderrastplatz konnten wir im Dunkeln nur schwer ausmachen. Ich hielt minutenlang auf eine rot beleuchtete Tonne zu, bis ich bemerkte, das das Licht nicht von einer Tonne, sondern von dem Rücklicht eines LKW's auf der Landstraße nach Malchow stammt. Auch Sektorenfeuer scheinen im Oktober unter die Stromsparmaßnahmen zu fallen.
Heute morgen fuhr Manfred dann ganz früh mit dem Bus nach Röbel um das Auto und den Trailer zu holen. Als ich es endlich geschafft hatte, mich bei Temperaturen um die 8°C aus der Koje zu schälen, nahm ich das Rigg auseinander, bis nur noch der kahle Mast ohne Salinge und Stage auf das Verladen wartete.
Manfred kam kurz nach elf mit dem Auto zurück und half mir den Mast zu verladen.
Um halb eins hatte ich dann nachgetankt und war startklar. Los ging's über den Plauer See nach Plau, während Manfred in Malchow auf der Suche nach Petroleum für meinen Kocher war. An der Schleuse in Plau trafen wir uns wieder. Er erkannte die Shark von weitem gar nicht, so ohne Mast und mit strahlend weißem Deck.
Ich hatte die hohen, kurzen Wellen auf dem Plauer See genutzt um angeleint die Entenschiete vom ständig überfluteten Deck zu schrubben, während mein Freund, der Autopilot, steuerte.
Die ersten zwei Schleusen, für mich die ersten zwei überhaupt, durchfuhr ich mit Leichtigkeit. Ich nahm sogar zwei Anhalter mit, die von einer Schleuse zur anderen wollten. Als Dank dafür wurde ich reichlich mit neuem Proviant von ihnen beschenkt. Die dritte Schleuse, Schleuse Bobzin, schaffte ich wegen der verkürzten Öffnungszeiten, im Oktober nur noch von 9 - 17 Uhr, nicht mehr rechtzeitig und liege nun mitten im Wald. Die zwei Häuser hier an der Schleuse scheinen nicht bewohnt zu sein. Ich bin ganz allein an der Schleuse. Nur eine Katze besucht mich nachts an Bord. Durch ihren Sprung an Deck werde ich geweckt. Sie klettert ins Cockpit und sieht mich mit großen Augen durch das Fenster im Steckschott an, bevor sie wieder im Wald verschwindet... So allein bin ich eingentlich gar nicht!
Während der Saison sind in Röbel viele Spinnen an Bord gezogen, die nun durch alle Ritzen versuchen in die Kajüte zu gelangen. Viele sind größer als 2 cm! Ich schätze ich habe die Statistik, dass jeder Mensch im Leben acht Spinnen im Schlaf verspeist, in diesen Nächten ein wenig gehoben...
Am morgen werde ich durch Motorsägenlärm geweckt. Waldarbeiter fällen neben mir Bäume, während ich mir einen Tee koche. Letze Nacht war es wieder sehr kalt, um die 4°C. Es scheint von Nacht zu Nacht kälter zu werden.
Gegen neun Uhr macht dann endlich die Schleuse auf. Ich werde sieben Meter hinuntergeschleust. Weiter geht es, ständig unter Autopilot, durch Lübz und Parchim nach Garwitz. Der Autopilot hilft mir auf dieser Fahrt sehr. Er behält zwar auf den engen Gewässern nie länger als 30 Sekunden den richtigen Kurs bei, befreit mich aber vom lästigen Rudergehen. Mit der Fernbedienung in der Hand stehe ich ans Sprayhood gelehnt oder liege auf dem Kajütaufbau.
Die Schleuse Garwitz erreiche ich um kurz nach 16 Uhr. Um die nächste Schleuse
in zehn Kilometer Entfernung noch zu erreichen, bin ich zu spät dran.
Ich entschließe mich in Garwitz zu übernachten. Eigentlich gibt es in Garwitz nichts, das zum Verweilen einlädt, abgesehen von einem großen Schild gleich nach der Schleuse, auf dem neben dem Schriftzug "Wasserwanderrastplatz Garwitz" eine große Dusche abgebildet ist!
Den großen Yachthafen, der zu dem Schild gehört, habe ich diese Nacht für mich alleine. Der herbeitelefonierte Hafenmeister muss mich vertrösten: "Die Duschen sind schon abgestellt!" Stattdessen wasche ich mich im Toilettenhäuschen mit Eiswasser, das bestimmt aus dem tiefsten Brunnen Mecklenburgs kommt. Nach einem langen Spaziergang durch den Ort ist mir wieder warm und ich lege mich in die Koje.
Der nächste morgen beginnt mit einem gepflegten Ausrutscher an Deck. Über Nacht hat es gefroren und das Cockpit ist vereist. Auch der Steg ist ganz weiß und ich schliddere gegen sieben Uhr zum Toilettenhäuschen. Dort versuche ich vegeblich meinen Wasserkanister unter den Wasserhahn zu bekommen und denke mir, heute Abend wird sich schon noch was finden, wo ich Wasser bunkern kann.
Um halb Acht startet der Außenborder beim zweiten Zug mit weißem Qualm. Bei 2°C tuckere ich langsam auf die Elde hinaus und erreiche um 9 Uhr die erste Schleuse.
Im laufe des Tages durchfahre ich bei schönstem Sonnenschein Neustadt-Glewe, Grabow, Eldena und erreiche um 16 Uhr meine vorletzte Schleuse bei Neu Kaliß. Obwohl ich hier nur 2 m hinunter muss, ist diese Schleuse die Schlimmste. Es dauert ewig, bis die Automatikschleuse die Kammer gefüllt hat und mich einfahren lässt. Dabei will ich an diesem Tag unbedingt noch durch die Schleuse Dömitz kommen! Tatsächlich erreiche ich das "Tor zur Elbe" um 16.45 Uhr. Ich lege an einem Steg an und laufe zum Schleusenwärter. Der kommt mir schon entgegen und stellt mir auf meine Frage, ob er mich noch hinunterschleust eine Gegenfrage: "Was bedeutet einmal rot?" - "Äh, geschlossen?" - "Schleusung wird vorbereitet! Solltest mal wieder einen Blick in die Bücher werfen!"
Da hat er wohl recht...
Am Abend liege ich beim Dömitzer-Motor-Yacht-Verein. In meiner Beschreibung ist der Hafen ausgeschrieben mit sanitären Anlagen und Tankstelle in der Stadt.
In der Tat gibt es sanitäre Anlagen, wenn auch 250m entfernt in Form von einem öffentlichem Pissoir!
Der beschriebene Schwimmsteg entpuppt sich als aus alten Schwimmpondons zusammengezimmerter Anleger, an dem ich mir am nächsten Morgen beim Auslaufen einen langer Kratzer in die Bordwand ziehe. Trotz sechs Fendern!
Am selben Abend mache ich noch einen langen Spaziergang, der mich auf der Suche nach einer Elbekarte und einer Tankstelle durch ganz Dömitz und über die Elbdeiche führt. Die Tankstelle finde ich in 2 km Entfernung zum Boot. Auch einen Supermarkt finde ich und kaufe mir 9 Liter stilles Wasser um meine Wasservorräte zu ergänzen. Der Wassertank ist inzwischen leer.
Den ganzen Abend freue ich mich schon auf eine Dose mit Eintopf, die ich mir im Supermarkt gekauft habe. Als sie dann vor mir steht, denke ich an einen Dosenöffner... Natürlich ist keiner an Bord! Mein Seglermesser in das Blech gerammt tut aber den selben Dienst...
Der nächste Tag beginnt mit Frühsport. Der einzige Sport beim Motorbootfahren ist, wie ich feststelle, das Kanisterschleppen. Ich schleppe in 2 Gängen 35 Liter Super zum Boot und bin danach völlig fertig. Da sich der Hafenmeister nicht blicken lassen hat und außer dem Steg auch kein Vereinsgelände zu finden ist, lege ich gegen 10 Uhr einfach ab und steuere auf die Elbe hinaus.
Die schiebt mich ganz schön von hinten! Die Logge misst eine Fahrt von 5,5 Knoten durchs Wasser, das GPS eine Fahrt von 7,5 Knoten über Grund! Ich werde also mit 2 Knoten geschoben!
Schnell habe ich die 65 km bis Lauenburg hinter mich gebracht. Unterwegs dorthin habe ich viel Zeit an Deck aufzuräumen, Radio zu hören, die schöne Landschaft an der Elbe zu sehen und mit Brötchen von der Tankstelle zu frühstücken. Gleich hinter Lauenburg biege ich nach links ab in den Elbe-Seiten-Kanal und erreiche um 17Uhr nach weiteren 10 km das Schiffshebewerk Scharnebeck. Ich melde mich über die Gegensprechanlage an und warte. Erst um 19 Uhr ertönt die Durchsage: "An das Sportboot, an das Sportboot: Einfahrt als zweites Boot nach dem Tanker!"
Kaum habe ich hinter dem 85m Tanker festgemacht, da geht es auch schon 36 Meter in die Höhe. In der Ferne kann ich das hell erleuchtete Lauenburg erkennen.
Als der Tanker aus der Kammer hinausfährt muss ich mich gut festhalten. Durch die Strömung seiner Schrauben zeigt meine Logge 2,5 Knoten an.
Im Dunkeln fahre ich hinter ihm her hinaus auf den Kanal, mitten zwischen 10 Tankern. Und ich ohne Positionsleuchten! Die sind auf dem Mast geblieben und meiner 2-Farbenlaterne am Bug fehlt eine neue Birne. Ich suche mir in irgendeiner Ecke einen Platz an der Spundwand und vertäue die Shark wie in einem Spinnennetz. Dann gehe ich schlafen.
Am Samstagmorgen sind alle Schiffe weg. Sie sind alle in der Nacht durch das Hebewerk gefahren. Um halb 8 gehen bei 1°C die Leinen los. Diese Nacht war die kälteste Nacht der ganzen Fahrt. Ich schlafe zwar schon seit Tagen mit Schlafsack, 2 Decken und Mütze bei ca. 2°C am Morgen in der Kajüte, habe aber letzte Nacht besonders gebibbert. Auch jetzt mit meinen drei Hosen, 2 Vliespullovern, 2 Mützen , einer Winterjacke und komplettem Hochseeölzeug darüber ist es nicht besser geworden. Das Teakholz im Cockpit ist von einer dünnen Eisschicht überzogen.
Bis um elf Uhr steigt die Temperatur nicht über 3°C. Mit den Händen und der Autopiloten-Fernbedienung in der Vliesgefütterten Tasche tuckere ich den Kanal hoch und erreiche um 12 Uhr Uelzen. Nach einer Stunde Wartezeit geht es wieder hinter einem Tanker in die Schleuse. Als ich in die Kammer einfahre gibt dieser Gas und ich werde wie ein Spielzeug gegen die Wand der Schleusenkammer geworfen. Dank der 5 Fender auf jeder Seite geht aber nichts kaputt.
Als das GPS nur noch 30 sm Luftlinie bis Wolfsburg zeigt, bekomme ich Hoffnung es noch am selben Tag nach Hause zu schaffen.
Bei dem Gedanken an eine weitere Nacht in dieser Kälte will ich nur noch Zuhause ankommen und sage ein geplantes Treffen mit Freunden in Uelzen ab. Jetzt geht's in einem Zug bis Wolfsburg durch! Es wäre mir sowieso peinlich gewesen mich mit ihnen zu treffen, da ich nach einer Woche ohne richtige Wäsche, seit Tagen Wasserrationierung und seit gestern Wassermangel einen eigenartigen Geruch an mir habe... Für das Zähneputzen ist mir nur noch Apfelschorle und Cola geblieben.
Gegen 16 Uhr bin ich nur noch 40 Km vor Wolfsburg und stelle fest, dass mir etwa fünf Liter Benzin fehlen. Ich rufe Zuhause an. Bei Km 30 vor Wolfsburg wollen mich meine Eltern mit einem Kanister erwarten. Um 17 Uhr erreiche ich sie. Manfred hat eine Kanne Tee mit! Ich bin außer mir vor Freude! Nach Tagen mit Wassermangel und dadurch mit kalten Getränken endlich ein Tee! Und Kuchen! Ich fahre mit dem Bug an die Böschung damit er aufspringen kann. Er hat auch eine Positionslaterne dabei, die wir auf dem Kajütaufbau aufstellen.
Mit Vollgas und 6,5 Knoten geht es weiter. Nach einer kleinen Irrfahrt im Dunkeln und nur mit Hilfe einer Taschenlampe erreichen wir um 22 Uhr den Yachthafen des YCHF bei Calberlah. Das ist das erste Mal, dass unser Boot in seinem Heimathafen liegt.
Nach 350 km Kanalfahrt bin ich endlich zuhause.
Eigentlich ist es schade. Ich überlege, die letzte Nacht an Bord zu verbringen, fahre aber doch mit nach Hause.
Dort habe ich eine Menge zu erzählen! Es dauert eine Weile, bis ich mich wieder an die geheizte Wohnung gewöhnt habe. Stundenlang habe ich ein ganz rotes Gesicht.
In meinem warmen Bett ziehe ich dann ein Resumee:
6 Tage, 100 Liter Benzin, 191 sm, 354 km, 18 Schleusen, 1 Schiffshebewerk sind die Zahlen, die mir durch den Kopf gehen.
Eine Woche Kälte, Motorbrummen, Anstrengung und Einsamkeit, eine Woche schöne Erlebnisse, fast nur Sonne, tolle Landschaften, Natur, nette Schleusenwärter und viele neue Sichtweisen...
Alles in allem: eine wunderschöne Fahrt, auch für Segler, die mich jedoch durch die Kälte manchmal an meine Grenzen geführt hat.
Eine Fahrt, die ich auf jeden Fall wiederholen werde.



Johannes Erdmann


Auch unter www.shark24.de zu lesen!
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