Mastbruch - Ein Fall für die Retter
Hilfe kommt bei jedem Wetter: Reportage über die Männer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und ihre Kreuzer
Von Oliver Klempert
Immer im Einsatz: Für Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) gehören die kritischen Situationen der Wassersportler zum Alltag - auch wenn sie mitunter fürs eigene Schiff und seine Besatzung schwierige Manöver mit sich bringen
Gerade als sie den Mann gepackt und in Sicherheit gebracht haben, knallt der Mast aufs Tochterboot. Die elf Meter lange Segelyacht schlägt auf die Seite, läuft voll. Jetzt gilt: Zurück aufs Hauptschiff - in Sicherheit ... es ist der 21. August 2003: Um Mitternacht wird die Situation, die zunächst harmlos ausschaute, lebensgefährlich.
Rückschau, ein paar Stunden zuvor: Bei Wind um fünf Beaufort mit bewegter See hatte die Familie ihren Urlaubstörn auf der Nordsee nach Borkum geplant - nichts Ungewöhnliches, auch nicht die Nachtfahrt. Doch dann kracht es, etwa vier Seemeilen westlich der Einfahrt zum Borkumer Hafen hat die Yacht Grundberührung. Die Wellen türmen sich plötzlich bis zu 2,50 Meter Höhe. Die Yacht wird immer mehr auf die Sandbank gezogen, ist manövrierunfähig. Unmöglich, bei diesem Seegang das Großsegel zu bergen. Wiederholt schlägt die Yacht auf den nun betonharten Sand, droht auseinander zu brechen, der Skipper setzt einen Notruf ab.
Gut 30 Minuten später treffen die Retter ein: Mit Volldampf ist die "Alfried Krupp" durch die See gepflügt - keine Sekunde zu früh, denn nun reißt der Rumpf auf, Wasser bricht ein. Unter Deck harren zwei weitere Erwachsene und zwei Kinder aus. Die Besatzung kann übernommen werden, dann bricht der Mast und schlägt auf das Tochterboot des Rettungskreuzers.
Was bei der Seglerfamilie erst im Nachhinein zum Schock führt, ist bei den Besatzungen der Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) Alltag. Allein die Zahl der Unglücke auf Nord- und Ostsee pro Jahr lässt dafür genügend Spielraum - statistisch gesehen passiert alle drei Stunden ein Unglück. Im Jahr 2003 waren die 21 Kreuzer fast 2400-mal im Einsatz, legten zwischen Borkum im Westen und dem Stettiner Haff im Osten auf Patrouillen- und Rettungsfahrten rund 78 000 Seemeilen zurück. In ihren Bordlogbüchern liest es sich das dann so: "Brand auf Gefahrgutfrachter", "Flugzeugabsturz in Deutscher Bucht", "Wattwanderer von Flut überrascht".
Dass die See handwerkliche Fehler und Fehleinschätzungen über Wetterentwicklungen nur selten verzeiht, wissen die Besatzungen. Michael Müller, "Vormann" und damit der Kapitän der "Berlin", dem drittgrößten Schiff der Gesellschaft, sagt: Gerade die Deutsche Bucht und die westliche Ostsee gehören zu den gefährlichsten Revieren der Welt - für die Ostsee ist die "Berlin" zuständig. Vor Laboe stationiert, rückt der Seenotrettungskreuzer in einem Gewässer aus, das durch Freizeitskipper und Berufsschifffahrt geprägt ist. "Wir wissen nie, wann es losgeht", sagt Müller, "es kann jeden Moment so weit sein." Drei Turbodiesel mit insgesamt 3300 PS Leistung treiben das 27,50 Meter lange Schiff dann mit 23 Knoten Maximalfahrt durch die See. "Unterwegs versuchen wir uns bereits ein Bild zu machen", erklärt Müller, "und lassen uns vom in Not geratenen Skipper erklären, was passiert ist."
Für die kommenden Jahren prognostizieren Meteorologen und Klimaforscher Schlimmeres: Immer stärkere und häufigere Stürme auf Nord- und Ostsee bestätigen die Erfahrungen der Besatzungen auf den Seenotkreuzern der Gesellschaft. Und dies mit oft fatalen Unfällen: Denn Segler, die durch einen umschlagenden Großbaum über Bord gestoßen werden, haben so gut wie keine Chance mehr: "Weißes T-Shirt vor weißer Wellenkrone - da können wir trotz starker Suchscheinwerfer in 50 Meter Entfernung dennoch vorbeifahren." Überhaupt sind Unerfahrenheit und Leichtsinn aber auch das brutale Überschätzen der eigenen Fähigkeiten nach wie vor Hauptursachen für Unglücke: mit dem Ruderboot von Amrum nach Sylt, auf der Luftmatratze einmal richtig weit hinauspaddeln oder der Verlust jeglicher Orientierung, weil plötzlich die elektronische Navigation versagt und Karten nicht an Bord sind - solche Ursachen für eine plötzliche Notsituation tauchen in den Statistiken der Rettungsorganisation ständig auf. "Wir haben dies nicht zu kommentieren", sagt Müller, "wir helfen nur." Und dies - wie gesagt - auf eigenes Risiko: So im Jahr 1995, als bei 15 Meter hohen Wellen die "Alfried Krupp" im Sturm vor Borkum ein niederländischer Seenotretter um Hilfe suchte, dabei Kapitän und ein Maschinist der "Alfried Krupp" über Bord gespült wurden und - starben. "Niemals sollte man die See bekämpfen wollen", sagt Müller nüchtern, "und Respekt sollte man haben, auch bei schönstem Wetter."