DEN HABE ICH HEUTE MORGEN IN DER ZEITUNG GEFUNDEN:

[jfalkenstein]

Schubverband auf Kicherfahrt

Von den rhetorischen Halsen nach einem Segelkursus


Abwechslung erfreut: Unter den beiden Möglichkeiten, innerhalb nur weniger Stunden die Wirkung eines halben Urlaubs zu erzielen - also bei einer Flasche Bordeaux oder bei ein paar Segelschlägen auf einem nahe gelegenen See - haben wir uns in diesen Tagen für letzteres entschieden; variatio delectat. Mit Latein allein freilich läßt sich schlecht an Bord gehen. Schon wer erstmals vom Steg aus zum Schnuppersegeln eine Jolle über den Bug betritt, findet sich in einer sprachlichen Welt voller Schäkel und Ösen. Steuerbord für rechts und Backbord für links, das wußte man ja noch. Daß aber Taue nicht nur nach Form und Dicke, sondern zudem nach ihrer Funktion unterschieden werden, ist Neuland auf dem Wasser. Mit Schoten genannten Leinen werden die Segel getrimmt, während ein Fall beispielsweise zum Durchsetzen des Segels dient und sein überstehendes Ende so an der Klampe zu belegen ist, daß es sich bekneift.

Wovon die Landratte nicht sprechen kann, davon muß sie schweigen. Bald aber schon ist die Welt alles, was das Fall ist. Die Seglersprache hält Einzug in den Alltag. Da heißt es "Klar bei Vorleine?", wenn man sich vor der Fahrt zum See im Rückspiegel des Autos versichert, ob nicht jemand dwars (quer) kommt. Manchen ergeht es daraufhin im Theoriekursus eher umgekehrt, wie etwa den Jungs in der letzten Reihe, die bei Begriffen wie Lattentaschen, beiliegen oder schamfilen einen Schubverband anthropomorpher Assoziationen auf großer Kicherfahrt sichten.

Der zunächst ungewohnte Slang wird mit der Zeit handlich im Privaten. Jedes Ding hat seinen Begriff, manches auch zwei oder drei. Schippert man jedoch damit zu hart am Wind im Alltag herum, so sind Böen und Untiefen zu beachten. Mit einem heißen Teller Suppe "Wahrschau!" rufend durch die Kantine zu steuern sichert einem nicht immer die wünschenswerte Aufmerksamkeit, die ein "Vorsicht, bitte!" zuverlässiger zeitigt. Der Verklicker genannte Windanzeiger auf dem Masttopp ist da schon verständlicher, und wer auf dem platt(deutsch)en Land zu Hause ist, fährt gleichsam auf Backbordbug oder in Lee und genießt somit Vorfahrt. Die rhetorischen Halsen eines Gesprächs ins Seemännische zu wenden wird bald eine schöne Übung, um die Seemannssprache bildhaft zu lernen. Da schießt ein Argument in den Wind, da dreht jemand in der Diskussion bei, um nicht auf Legerwall zu geraten, wo er keinerlei Spielraum mehr hat; der refft seinen Wortschatz, um die Angriffslust des Gesprächspartners zu zügeln oder er kappt gar gänzlich den Gesprächsfaden.

Wie ein Klabautermann sitzt dieser Fimmel nicht allein im Sprachzentrum. Mancher wurde schon beobachtet, wie er beim Radeln zum Anleger Lenker und Pinne sowie die Ausweichregeln auf Straße und Wasser durcheinanderbekam. Bei Curry denkt er zunächst an die gleichnamige Klemme, bei Cunningham nicht an die Fotografin mit dem Vornamen Imogen, sondern an die Kausch, mit der es den Segelbauch flachzutrimmen gilt, wobei wir in die Nähe der Weightwatcher geraten, von denen sich der Gourmet eher freihalten wird. Wenn aber im Herbst die Jollen an den heimatlichen Revieren aufgepallt werden, ist es Zeit, auch diese sprachliche Parallelwelt abzutakeln. Der Segler fällt in eine Art Winterstarre, die er abzuwettern hat und in der er sich seinen halben Urlaub dann doch anders als unter Masten holen muß. Was besonderen Stil hat, wenn er zu Joachim Ringelnatzens Gedichten vom Daddeldu, the old Seelerbeu-Kuttel, greift und dabei eine Flasche Margaux lenzt.

NILS SCHIFFHAUER

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2002, Nr. 239 / Seite T6

(Ich hoffe, ich verletze keine Urheberrechte)

[ramsey]

Sehr nett, schöne Story. Der Mißbrauch von Schiffahrtsbegriffen im Alltagssprech wird wahrscheinlich den meisten von uns schon mal vorgeworfen worden sein.
Gruß
Ramsey

[ventum]

Ja, solche sprachlichen Patenthalsen sind mir auch schon passiert...

[Pit]

kann man aber toll nutzen, wenn dritte nicht alles kapieren sollen (machen meine Frau und ich manchmal - aber unsere 5-jährige hat auch schon so einiges davon drauf...

CU

Pit