#1
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Seeunfall: Tod durch Grossbaum
Hallo Freunde,
in den "Nautischen Nachrichten" (Kreuzerabteilung des DSV, 1/2002, Seite 4 ff) wird über eine Untersuchung des Seeamtes BHV berichtet, der folgender Sachverhalt zu Grunde lag: Im Juli letzten Jahres segelte eine Dehler 34 im Bereich Langeland bei idealem Segelwetter (3-4 Bft, Wellenhöhe 0,5 m). Das Schiff läuft auf Vorwindkurs. Beim Wechsel des Vorsegels wurde ein Crewmitglied nach Patenthalse vom übergehenden Grossbaum am Kopf getroffen, ging über Bord und versank sofort; eine Suche blieb erfolglos. Der Tote wurde später auf Fehmarn angetrieben. Der Unfall ereignete sich trotz gesetzten Bullenstanders. Der Verunglückte trug keine Rettungsweste. Der Schiffsführer wurde schuldig gesprochen am Tod des Crewangehörigen. Der Bullenstander bestand aus einer Schot des Typs "Liros-Color" in einer Stärke von 8 mm (Festigkeit 800 daN). Diese Leine war gebrochen; offenbar durch den übergehenden Baum zerrissen worden. Dazu kam, dass der Bullenstander unsachgemäss am Baum befestigt war: Am Aluprofil des Baumes befand sich eine mit Blindnieten befestigte Stahlplatte mit einem Stahl-D-Ring ( für den Block des Baumniederholers). Dort, also nur rund eineinhalb Meter vom Lümmelbeschlag entfernt, war der Bullenstander angeschlagen. Die Schweissverbindung zwischen D-Ring und der Grundplatte war aufgebrochen, also das Auge war einseitig abgerissen. Das Seeamt bemängelte sowohl die unzureichende Stärke des Bullenstanders als auch den den "Regeln der Seemannschaft" nicht entsprechenden Befestigungspunkt am Baum. Darüberhinaus erfolgte der Schuldspruch wegen der nicht angelegten Rettungsweste; hingewiesen wurde auf die Schrift "Sicherheit im See- und Küstenbereich" (BSH, Hamburg/Rostock 2001, Zitat: "Legen Sie nicht nur bei schlechtem und unsichtigen Wetter, sondern auch bei Manövern und Arbeiten an Deck die Rettungsweste an.", Seite 29). Unfallursächlich waren damit nach Ansicht des SA unzureichend dimensioniertes Tauwerk, falscher Anschlag des Bullenstanders (ungünstiger Hebel, weil nicht an der Nock befestigt) und die fehlende Weste. Für den Skipper ist damit auch gleichzeitig strafrechtlich der Tatbestand der fahrlässigen Tötung erfüllt. Ich lass das alles erstmal so unkommentiert stehen. Was meint Ihr zu diesem Unfall? Gruss, Helmut |
#2
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Hallo Helmut,
in diesem Falle meine ich, daß das Seeamt in allen Punkten korrekt geurteilt hat. Die Kraft bei einem so langen Hebelarm ist sehr groß. 8mm sind unterdimensioniert und der Beschlag kann einer seitlichen Belastung nicht standhalten. Daß man auch bei Arbeiten auf dem Vorschiff die Rettungsweste anlegen soll ist bekannt, wird aber kaum gemacht. Ich mache es leider auch nicht.
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Handbreit Jens |
#3
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Auch wenn es bitter ist für den Skipper: Die genannten Fehler hat er nun mal gemacht, und damit ein Crewmitglied zu Tode gebracht. Der Unfall entstand ja wieder einmal durch eine ganze Kette von Fehlern:
1. Ungeeignetes Tauwerk für den Bullenstander (eine 8mm Liros Handy taugt bestenfalls als Reffleine oder zum Anbinden von Fendern) 2. Bullenstander fehlerhaft geriggt. 3. Keine Rettungsweste. Speziell das Thema "Rettungsweste" wird ja immer wieder wild diskutiert. Dieser Unfall bestätigt meine Meinung, daß immer Rettungswesten getragen werden sollten. Der Teufel ist ein Eichhörnchen, man weiß nicht, wann er zuschlägt. Der Bericht gibt an, daß das Opfer ertrunken ist. Bei den günstigen Sicht- und Seegangsverhältnissen hätte es mit hoher wahrscheinlich gerettet werden können, hätte es eine Rettungsweste getragen. Für denm Unfall waren alle drei Fehler notwendig. Hätte der Skipper nur einen weniger gemacht, wäre das Opfer wohl noch am Leben. |
#4
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Bullenstander - nein Rettungswesten - immer
Moin Ventum,
vielen Dank für die Vorlage. Ich habe den Artikel ebenfalls gelesen. Mich wundern einige Dinge: Ich hätte einige Fragen an den Sachverständigen oder vielleicht auch nur an den Schreiber des Artikels. Ich habe das Gefühl, daß der Sachverständige nur sinnentstellt zitiert wurde. Bei 4 Bft kann man normalerweise das Groß einer Dehler 34 noch recht gut mit der Hand shiften, wenn man das will. Die Bruchlast der Leine wird mit 800 daN - also der Gewichtskraft von 800 kg) angegeben. Das ist zwar nicht gerade überdimensioniert sollte aber auch am zugegeben ungünstigen Hebelarm genügen - selbst wenn man für Knoten und Alter die Hälfte abzieht. Ich frage ob der Bullenstander stramm durchgesetzt war oder ob er dem Baum Lose gab, in die der einrucken konnte. Dann kann ich mir das Verbiegen von Beschlägen und das Brechen einer Leine eher vorstellen. Es wundert mich, daß davon nicht die Rede ist. Weiterhin würde mich interessieren ob denn der Baumniederholer stramm durchgesetzt war. Das nämlich hätte das Geigen des Bootes wirksam verhindern können. Meine Meinung zu Bullenstandern ist schließlich, daß sie meistens ohnehin überflüssig sind. Besser ist es, immer wenn möglich, *nicht* genau vor dem Wind zu fahren - was ja ohnehin der schnellere Weg nach Lee ist. Zur Benutzung stimme ich mit den Äußerungen im Artikel überein: möglichst weit achtern, stark genug, ins Cockpit umgelenkt und *stramm*. Wenn man meint auf einen Bullenstander nicht verzichten zu können muß man trotzdem Baum und Rudergänger im Auge behalten. Vor dem Wind muß man den Niederholer ebenfalls stramm durchsetzen. Das Groß wird dann über die ganze Höhe ein Profil haben und nicht im oberen Bereich Wind von der "falschen Seite" bekommen. Rettungswesten: Meine Frau und ich pflegen unsere Westen immer zu tragen, auch wenn die steileren Kapitäne uns vielleicht belächeln. Wir fühlen uns jedenfalls wohler. Das setzt natürlich voraus, daß sie bequem sind und nicht behindern. Ich habe ein bevorzugtes Modell, über das ich gerne per Mailanfrage Auskunft erteile. Hallo captain (... welch' ein Spitzname!) Gruß Uwe |
#5
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Hallo zusammen,
danke für Eure Antworten. Ich fand den Bericht über die Seeamtsverhandlung recht einprägsam und hab deswegen auch darüber geschrieben. Bin auch der Meinung, dass der Spruch in Ordnung ist. Allerdings hat mich wie ugies auch gewundert, dass der Bullenstander gebrochen ist. Immerhin handelte es sich um ein eher kleineres Schiff und die in dem Bericht angegebenen Windstärken waren auch dann noch moderat, wenn man "Ausreisser" mit einrechnet... Vermutlich hatte die Leine einen Vorschaden, der den Totalbruch begünstigt hat. Interessant war auch in diesem Zusammenhang die Auswirkung des falschen Anschlags des Bullenstanders am Baum. Leider sieht man immer wieder, dass, so überhaupt gesetzt, der Bullenstander nicht an der Nock befestigt ist. Ich denke, dass der Grund häufig fehlende Kenntnis über Hebelkräfte und eine nur kurze zur Verfügung stehende Leine ist; die Festmacher will man ja dafür nicht gleich nehmen... und so schlimm ist der Wind ja nicht... man kann ja schliesslich ordentlich steuern... Ich versuche bei achterlichem Wind normalerweise immer, raumschots zu laufen, wenn dies der Kurs zulässt. Auch dann ist aber der Bullenstander meist zusätzlich gesetzt und, mit Umlenkung ins Cockpit, durchgeholt. Die geringe "Mehrarbeit" schafft eine Menge zusätzlicher Sicherheit. Und die Rettungsweste bei Arbeiten an Deck? Na ja, sie sollte sein... Vielleicht bin ich da in Zukunft konsequenter. Gruss, Helmut |
#6
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Hallo allerseits,
leider muß man sagen, daß hier einige kleine Fehler gemacht wurden, die in Verbindung mit denen des Crewmitglieds tödlich waren: Die Bullenstanderbefestigung war zu weit innen (Hebelkraft wurde für diese Konstruktion zu groß, Baum wurde außerdem dadurch nicht genügend festgesetzt). Unterschätzung der auftretenden Kräfte durch Seegang und Wind (durch beide Seiten (Skip und Opfer). Aufenthalt des Crewmitglieds im Schwenkbereich des Großbaums (man muß ja ständig mit irgendeinem Bruch rechnen und wenn es nur die Dirk ist und der Baum senkrecht kommt). Die nicht getragene Rettungsweste (ich gehe davon aus, daß man zu mindest den Überbordgegangenen auffischen hätte können). Ob dieser allerdings aufgrund der Kopfverletzung noch gelebt hätte?? Hier ist der gleiche Verlauf wie bei Eric Tabarly erkennbar. Mein Beileid Karl-Heinz |
#7
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Dieser Fall wurde schonmal veröffentlicht, allerdings mit mehr Daten:
Der Über-Bord-gegangene stand wunderbar im Schwenkbereich der Nock hinter seiner schwangeren Frau. Der Skipper steuerte nicht selbst. Als der Mann über Bord ging wollte seine Frau direkt hinterher, was nur durch vereinten Einsatz verhindert wurde. In der Hektik hat niemand Ausschau nach dem Verunglückten gehalten - obs genutzt hätte is jetzt müßig, mit Weste auf jeden Fall. Mit Ausnahme des Skippers hatte niemand an Bord wirkliche Erfahrung. Das Seegericht wirft dem Skipper neben den o.g. Punkten auch vor, sich mit einer unerfahrenen, nicht-eingespielten Crew auf diesen Törn begeben zu haben ( und Einweisungen nicht richtig vorgenommen zu haben etc. etc. ).
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beste Grüße Stefan |
#8
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Grund für den Bullenstander
Hallo zusammen,
Den Fall habe ich auch gelesen in den Nautischen Nachrichten und er ist mir sehr unter die Haut gegangen, weil er eine nicht untypische Situation zeigt. Oft ist es doch so, dass wir Unerfahrene an Bord haben, um ihnen die Freude an der Seefahrt näherzubringen. Gerade diese Menschen lassen wir steuern, weil das die beliebteste Tätigkeit ist und ausserdem gegen die Seekrankheit hilft. Gut, bei Vorwindkursen, bzw Raumschots geht bei mir immer die Warnlampe an und ich beobachte an Bord alles was mit Steuern und Segelstellung zu tun hat mit erhöhter Aufmerksamkeit. Aber ich traue mir nicht zu, jede Situation sicher zu vermeiden, die einen Unerfahrenen dazu bringt das Heck des Schiffes allmählich in Windrichtung zu bringen. Das Tückische ist ja, daß es nicht laut killt, die Anzeichen sind unmerklicher und wenn der kritische Punkt erreicht ist, ist der Zeitraum verdammt klein um durch Rufen oder Ins-Steuer-Greifen den Schrecken abzuwenden. Deshalb setze ich gerne den Bullen mit einem langen Festmacher. Manchmal kam ich mir etwas zu fleissig vor, aber nach Veröffentlichung dieses Falls bleibe ich gerne bei meiner Bullenstanderpraxis! Fühle mich bis jetzt hier zu Hause, Kompliment! netsail |
#9
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Die einfachste Lösung ist es doch aber, jedem Mitsegler auf Vorwindkursen schlichtweg das Stehen zu verbieten, bei Arbeiten auf dem Vorschiff als Skipper, der sein Boot kennt selbst zu steuern ( und ein wenig anzuluven ) und darauf zu bestehen, das notfalls bis zum Mast auf allen vieren gekrochen wird, damit keine Kopfverletzungen entstehen können - oder das man unter auf der Seite langgeht, auf welcher der Baum steht.
Ich halte nix von Bullenstandern, es wird immer irgendeinen Schwachpunkt geben, der zum falschen Zeitpunkt nachgibt. Ich denke auch, das eine derartige Kopfverletzung alleine im ungünstigsten Fall bereits Todesfolge haben kann.
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beste Grüße Stefan |
#10
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Der Fall beschäftigt mich immer noch...
Hallo zusammen,
den Tag über musste ich immer noch an diesen Grossbaum denken und wie man ihn hindern kann zu tun, was er nicht soll. Jeder Skipper wird seine Methode haben die wirksam verhindert, daß im falschen Moment eine Patenthalse passiert oder gar, daß jemand im Schwenkbereich des Baums steht. Klar ist nur, das zeigen auch die engagierten Postings hier, daß es sich bei diesem Thema um die ernste Seite des Segelhandwerks handelt. Während wir hier aus dem Fall versuchen zu lernen, muss eine junge Frau ihr Kind allein versorgen, (wenn die Geburt schon war - sie war doch schwanger, nicht wahr...) ist innerhalb von Sekunden Witwe geworden. Und wie mag nun ihr Verhältnis zu ihrem damaligen Skipper und den anderen Crewmitgliedern sein... Ich scheue mich daran zu denken. Es lohnt sich beileibe sich über "was passiert wenn" Gedanken zu machen, ohne gleich zum Wasserpedanten zu mutieren. Das zeigt mir dieser Fall deutlich und pünktlich, bevor die Saison so richtig losgeht. Heute abend mal ohne Smilies netsail |
#11
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hallo sportsfreunde,
klar dass es mich in den fingern juckt, auch zu diesem thema meinen senf zu geben. aus zeitmangel verzichte ich aber. jedoch möchte ich darauf hinweisen, dass wir im yacht-forum das thema bullenstander und die erwähnten todesfälle auch schon diskutiert haben. dort sind auch noch einige zusätzliche aspekte nachzulesen. |
#12
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Hallo,
ich habe die Story auch bei der KV gelesen und wie stef früher auch schon mal. Was hier gesagt wurde hinsichtlich der Möglichkeiten und Notwendigkeiten, um sowas zu vermeiden, kann ich nur unterstreichen - unbeschadet der Tatsache, dass man über die besten Methoden sicher streiten kann und soll. Ich möchte gern nochmal die Verantwortung des Schiffsführers hervorheben. Die wird gern ignoriert und kommt dann - wie hier - erst bei spektakulären Unglücksfällen 1-2x/Jahr auf den Tisch. Ich erlebe es immer wieder in der praktischen Ausbildung zB für den SKS-Schein (nächste Woche ist es wieder so weit, mal sehen.. ), dass dieses Thema als typisches Prüfungsthema ohne wirkliche praktische Relevanz abgetan wird. Das ist, man kann es nicht deutich genug sagen, wahrlich ein Irrtum. So weit ich das überschauen kann (ventum weiß sicher mehr), legen Seeämter und in Folge ggf. auch Gerichte offenbar sehr strenge Maßstäbe an das Verhalten eines Skippers an. Dabei geht es eben nicht nur ums Handwerk (wie setze ich einen Bullenstander?), sondern auch um Einweisung der Crew, klare Regeln und deren Durchsetzung. Genau das wird nach meinem Eindruck gern ignoriert - man segelt halt los mit seinem Charter-Kahn.... Aber wenn dann was passiert, was durch klare Einweisung, Absprache oder Übung (MOB) auch nur möglicherweise hätte verhindert werden kann, dann ist SkipperIn dran. Dass dann (hoffentlich) eine Skipper-Versicherung einspringt, kann zumindest bei Fällen, in denen Menschen zu Schaden kommen, nur ein gaaaanz schwacher Trost sein.
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Immer eine Handbreit Sonne zwischen den Wolken wünscht Friedhold http://www.rubin-xiv.de - die Homepage der "Rubin XIV" |
#13
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Hallo Segelkameraden,
schlimme Sache für das Opfer und für alle Beteiligten, ganz klar. Das Urteil ist sicherlich auch in Ordnung so, dennoch gehen speziell beim Punkt Rettungsweste ein paar Warnlampen bei mir an. Ich möchte hier jetzt keine Diskussion zum Thema Rettungswesten anheizen - dieses Thema ist schon oft genug verhackstückt worden - mich interessiert hier eher die Verantwortlichkeit eines Skippers. Den Anweisungen des Schiffsführers, auch der Anweisung, Rettungswesten zu tragen, hat die Crew Folge zu leisten. So weit, so gut, das ist die Theorie. Kommen wir aber mal zur Praxis: Saronischer Golf, 3 Bft, Wellenhöhe 0,5 m, Vorwindkurs (mit Bullenstander und allem Pipapo). Es ist August und hat damit Temperaturen um 35°C, gelegentlich sogar mehr, und jeder versucht, sich von so vielen Kleidungsstücken wie möglich zu befreien. Als Skipper bin ich mir der Gefahren auf einem Vorwindkurs bewusst und habe die Crew übergründlich eingewiesen und speziell auf die Gefahr durch den übergehenden Baum aufmerksam gemacht. Die Schrift "Sicherheit im See- und Küstenbereich" ist mir bekannt, weshalb ich die Crew, die über dieselbe oder sogar mehr Segelerfahrung verfügt wie ich, auffordere, die Rettungswesten anzulegen. Die Jungs und Mädels glauben sofort, ich hätt 'nen Sonnenstich. Nun ist es meine Aufgabe als Skipper, diese Anweisung durchzusetzen. Was sind die Folgen? Diskussionen über das Für und Wider, Androhung des Absetzens im nächsten erreichbaren Hafen, das Durchsetzen der Anweisung mit an die Schläfe gehaltener Signalpistole? O.K., das war übertrieben und ich bin tatsächlich ganz gut in der Lage dazu, Anweisungen durchzusetzen, die eigentliche Frage aber ist, ob ich das in diesem speziellen Fall denn überhaupt will? Will ich eigentlich gar nicht, weil ich nämlich selbst unter den genannten Bedingungen keine Rettungsweste trage. Ich habe gesagt, dass in diesem Beispiel die gesamte Crew einschließlich Skipper über identische Segelerfahrung verfügt und wir sind alle 3 mal 7 Jahre alt, also erwachsene Menschen. Aber wie komme ich als Schiffsführer aus der Verantwortung heraus? Reicht es, die Sicherheitseinweisung mit den relevanten Punkten im Logbuch zu vermerken? Reicht es, die Aufforderung zum Anlegen der Rettungsweste im Logbuch zu vermerken? Reicht es, dem Logbucheintrag hinzuzufügen, dass sich Crewmitglied XY geweigert hat, dieser Aufforderung nachzukommen? Versteht mich nicht falsch, auch bei mit gibt es feste Regeln, bei denen nichts diskutiert wird, aber bei einigen Punkten (es geht ja nicht nur um die Rettungsweste) möchte ich erfahrenen Mitseglern nun doch nicht vorschreiben, was sie zu tun haben, andererseits möchte ich als Skipper aber auch nicht ständig mit einem Bein im Knast durch die Ägäis pflügen. Kann ich mich als Skipper irgendwie absichern? Vielleicht noch zum Hintergrund: Ich lebe, arbeite und segle in Griechenland mit Griechen, und Griechen sind ein ganz spezieller Menschenschlag (besonders auf dem Wasser). Würde ich hier nun alles so durchziehen, wie es Seeämter etc. gern hätten, dann würde schwupdiwup als Einhandsegler enden. Handbreit und dass die neue Saison euch derartige Probleme nicht bereitet Dirk |
#14
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Zitat:
Hallo Friedhold und Dirk. Ihr schneidet da ein Riesenkapitel an. Über die voraussichtliche Entscheidung eines Gerichts ist meist keine sichere Prognose möglich (...alles in Gottes Hand!). In unserem Ausgangsfall war die Sache aber meines Erachtens nach von Anfang an klar; ein Spruch wegen Skipperverschuldens war zu erwarten. Generell ist Deine Einschätzung, Friedhold, hinsichtlich der strengen Massstäbe richtig. Die "anerkannten Regeln der Seemannschaft" lassen Seeamtsjuristen eigentlich zwar einen recht weiten Ermessensspielraum. Faktisch aber werden sie immer nach dem unbedingten Sicherheitsaspekt entscheiden - und "verurteilen" (ist rechtlich kein Urteil, sondern ein "Spruch"). Es kommt entscheidend auf 2 Dinge an: - Wäre der Schadenseintritt bei "Beachtung der gebotenen Sorgfalt" vorhersehbar gewesen? - Ist der Schaden das Ergebnis des vorherigen Fehlverhaltens, also der Nichtbeachtung der Sorgfalt (Frage nach dem Kausalzusammenhang)? ("Schaden" ist in diesem Zusammenhang Sach- und Personenschaden) Wenn, um dies etwas einzugrenzen, ein klarer Regelverstoss ermittelt wird (hier: Nichtbeachtung der Sorgfaltsregeln "Sicherheit im See- und Küstenbereich"), so wird in der Regel die "Sorgfaltspflichtverletzung mit der Möglichkeit des Schadenseintritts" unterstellt und nur noch die Kausalität geprüft. Schwieriger ist das Ganze, wenn ein klarer Regelverstoss nicht vorgekommen ist, sondern wenn sich der Unfall etwa aus einer Verkettung von zum Teil nicht beeinflussbaren Faktoren mit einer seemännischen Entscheidung ergeben hat (Beispiel: Ein an sich für den Küstenbereich taugliches MoBo läuft bei Tidenstrom und gegenan stehendem Wind in ein Seegat ein und verunglückt). In einem solchen Fall kann es bei der Entscheidung des Seeamtes sowohl zu einem "Freispruch" wie auch zu einer "Verurteilung" kommen, je nach dem, ob die Entscheidung einzulaufen nach der Einzelfallmeinung des SA vorwerfbar falsch oder nicht zu beanstanden war. Eine Prognose über den zu erwartenden Inhalt des Spruchs ist in einem solchen Fall nur äusserst schwer möglich... Der von Dir, Dirk, geschilderte Sachverhalt (Crewangehöriger legt entgegen der Weisung des Skippers keine Rettungsweste an) ist nach meiner Erinnerung bereits (mindestens) einmal entschieden worden. Es wurde gefordert, dass der Schiffsführer dann den Mitfahrer unter Deck zu verbannen und gegebenenfalls bei anhaltender Uneinsichtigkeit bei nächster Gelegenheit an Land zu setzen hat. Der Skip kann sich entlastend nicht mit Erfolg auf die Weigerung des Crewmitglieds berufen, obwohl faktisch dies natürlich den Grad der Schuld des Skippers vermindert. (Im Übrigen gehört ein Vermerk über die Anordnung, Rettungswesten anzulegen und über eine eventuelle Weigerung in's Logbuch). Mir kommt eine solche, vom Seeamt ggfls. geforderte Handhabung in der üblichen Bordpraxis, so wie sie Dirk schildert, auch etwas sehr theoretisch vor. Ich möchte aber daran erinnern, dass sich aus dem Sessel eines Richters heraus ein solcher Fall häufig anders darstellt als in der konkreten Situation "vor Ort"; der Richter entscheidet aber zuletzt... Strafrechtlich noch kurz ein Hinweis auf die §§ 4 (Straftaten auf Schiffen unter Bundesflagge) und 7 Abs. 2 Nr.1 des Strafgesetzbuchs (Straftaten von Deutschen im Ausland), gilt auch bei fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung. Helmut |
#15
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Hallo Helmut,
vielen Dank für die prompte Antwort. Ich sehe schon, ein Patentrezept gibt es da offenbar nicht. Werde mal ausloten, was eigentlich die dem deutschen Seeamt entsprechende griechische Behörde zu so einem Fall sagt. Bleibt wohl einstweilen nicht anderes übrig, als so zu verfahren, wie zuvor. Theorie und Praxis sind eben oft zwei grundverschiedene Dinge. Vielleicht eins noch: Hast du eine Ahnung, welcher Staat im Falle eines Falles versuchen würde, mich als Skipper zur Rechenschaft zu ziehen. Voraussetzungen: Ich bin deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Griechenland, bin im Besitz des SBF-See und griechischer Diplome, segel unter griechischer Flagge und ins Wasser fällt (hoffentlich nie) ein griechischer Mitsegler. Ich ging bis jetzt davon aus, dass das eine Sache für griechische Behörden ist, kann mich aber irren. Handbreit Dirk |
#16
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Zitat:
bei einer fahrlässigen Körperverletzung oder -Tötung wärst Du bei dieser Konstellation auch dann nach deutschem Strafrecht strafbar, wenn sich die "Tat" im Ausland auf einem ausländischen Schiff ereignet und ein Nichtdeutscher das Opfer ist. Dies ergibt sich aus § 7 Strafgesetzbuch. Es heisst dort: "Für (...) Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (...) und wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war (...)." Die griechischen Behörden würden von sich aus ebenfalls und zuerst tätig werden. Generell bleibt dann zwar daneben die Strafbarkeit nach deutschem Recht bestehen, praktisch würde aber voraussichtlich bei einer griechischen Sanktion hier nichts weiter passieren, da die hiesige Staatsanwaltschaft dann die Möglichkeit hätte, das deutsche Strafverfahren nach § 153 c der Strafprozessordnung einzustellen und auch fast immer so verfährt. Ich wünsche Dir, dass ein solcher Fall nie praktisch wird. Grüsse in die Sonne, Helmut |
#17
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Jupp.
Hinweis noch: Das gilt so ua deshalb, weil Du ein Schiff unter griechischer Flagge führst. Wenn ich mich richtig erinnere, werden deutsche Seeämter (nicht: Gerichte) immer tätig, wenn ein Schiff unter deutscher Flagge an einem zu untersuchenden Fall beteiligt war - egal wo auf der Welt.
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Immer eine Handbreit Sonne zwischen den Wolken wünscht Friedhold http://www.rubin-xiv.de - die Homepage der "Rubin XIV" |
#18
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Wozu wurde der Unglücksrabe verdonnert?
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#19
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Zitat:
Das Seeamt hat die Aufgabe, Seeunfälle und Verstösse gegen die Seegesetzgebung zu untersuchen. Die Richter des Seeamtes sind grundsätzlich Fachleute auf nautischem Gebiet, also nicht ("nur") Juristen. Zu einer Seeamtsverhandlung kommt es , wenn ein öffentliches Interesse an einer entsprechenden Untersuchung gegeben ist. Dieses liegt vor, wenn es im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik oder auf einem in Deutschland registrierten Schiff entweder - zu einer Havarie, - zu einem Schiffsverlust, - zum Tod oder einer schweren körperlichen Schädigung einer Person, - zu einer Meuterei oder - zu einer Beschädigung öffentlicher Einrichtungen durch ein Seefahrzeug gekommen ist. Die geschädigte Person kann auch ein Nicht-Besatzungsangehöriger sein. Bei einem Vorfall im obigen Sinne besteht Anzeigepflicht, auch wenn damit eine Selbstbelastung verbunden ist. Die strafrechtlichen Konsequenzen urteilt ein normales Strafgericht aus. Die Höhe der Strafe ist stark vom Einzelfall bestimmt, so dass sich das allgemein praktisch nicht sagen lässt. Was dem Skipper "unseres" Falls passiert ist, weiss ich nicht, nehme aber an, dass eine Freiheitsstrafe zur Bewährung verhängt wurde oder noch zu erwarten steht. Gruss, Helmut |
#20
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Seeamt
Hallo Kollege Ventum (liege doch wohl richtig in der Vermutung?),
bin leider nicht so firm im Seerecht - würde mich aber gerne etwas schlauer im Hinblick auf die Verfahren und Entscheidungen der Seeämter machen. Gibt es irgendwo im I-Net eine Quelle (Online-Veröffentlichungen etc.) ? Zu der angesprochenen Verpflichtung, vor dem Seeamt Angaben zu machen, interessiert mich als Strafrechtler besonders, ob es bereits irgendwelche Entscheidungen der Strafgerichte bezüglich der Verwertbarkeit von Aussagen vor den Seeämtern im Strafverfahren gibt. Vielleicht sind sogar Online-Fundstellen oder Az bekannt? Viele Grüße, Wolfgang |
#21
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Hallo Wolfgang, hab Dir ne PN geschickt. Wir sollten dass mal am Telefon besprechen.
Im Übrigen habe ich vor, von Zeit zu Zeit mal über aktuelle Seeamtssprüche hier in aufgearbeiteter Form zu berichten. Helmut |
#22
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Zitat:
Gute Sache das würd mich als Laie mit Erfahrung im UrhBG und LsR auch interessieren . Gruß der Klotzfisch |
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