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Törnberichte Wie der Name schon sagt. Keine Antwortmöglichkeit! |
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Mit "marsvin" zum Forumtreffen
Nachdem wir in der letzten Zeit so tolle Törnberichte gelesen haben, will ich mich auch mal an dem Thema versuchen, und zwar über den Törn zu einer der merkwürdigsten Veranstaltungen an der gesamten deutschen Ostseeküste, dem Boote-Forum Treffen in Großenbrode im Juni 2003. dazu muss ich ein wenig ausholen:
Als im Frühjahr 2000 die Saison begann, war für mich fast alles anders geworden: Nach einer schweren Krankheit im Winter war ich im April gerade aus der Reha zurück, mit der Maßgabe der Ärzte, mir keinerlei Gedanken mehr über meine Hobbys, das Surfen und Rennjollesegeln zu machen, damit wäre es nun vorbei, Segeln könne man ja auch etwas gemütlicher betreiben. Also musste ein neuer besegelter Untersatz her, denn den Sport ganz aufzugeben stand überhaupt nicht zur Debatte. Als Erstes wurde also das Surfgeraffel verkauft, was erstaunlich gut ging und sogar noch eine bemerkenswerte Summe erbrachte, schlechter sah es schon mit der mehr als 20 Jahre alten Javelin aus, aber davon ließ ich mich nicht verdrießen und streckte schon mal alle Fühler nach einem ostseegeeigneten Kajütboot aus. Die Vorstellungen gingen so in Richtung Fam, auf alle Fälle slipbar, da ein Boot, dass einen Wasserliegeplatz erforderte, das Budget gesprengt hätte, und der Landliegeplatz mit Slip und Trecker vorhanden war. Um die Sache abzukürzen: Nach einigen Umwegen waren wir im Spätsommer Eigner einer 24 Jahre alten Condor 55, einem 5,5m langen Hubkieler, der aus der gleichen Werft stammte, wie die ursprünglich favorisierte Fam, und im Gegensatz zu diesem Jollenkreuzer Gewichtsstabil. Ansonsten alles sehr klein und handlich, allerdings auch sehr solide. Diesen Seezwerg tauften wir nach kurzer Diskussion auf den Namen „marsvin“. Den Rest der Saison 2000 benutzten wir dazu, uns an das Boot, und das Boot an uns zu gewöhnen. Ich hoffe, dass "marsvin" damit genauso wenig Probleme hatte wie ich, Renate fiel die Gewöhnung ans Segeln jedenfalls nicht ganz so leicht. Die Saison 2002 sah uns dann wieder bei diversen Tagesfahrten auf der Ostsee von Falshöft aus und einer Wochenendfahrt zur Windjammerregatta auf der Kieler Förde. Zur Saison 2003 standen dann umfangreiche Lackierarbeiten am Unter- und Überwasserschiff statt, ferner wurden eine Logge und ein Echolot installiert und eine Elektrowinde übernahm die schwere Arbeit des Kielbewegens und musste folgerichtig über ein Solarpaneel mit Strom versorgt werden. „Marsvin“ nahm also ganz langsam die Gestalt an, wie ich mir mein Boot vorstellte. Zwischenzeitlich hatte ich recht früh im Jahr 2002 das Boote-Forum entdeckt, las hier fleißig und schrieb auch schon mal den einen oder anderen Beitrag, wenn ich denn meinte, etwas zu sagen zu haben, und stellte auch schon mal ein paar Fragen. Im Winter 02/03 nahm ich auch mal an einem Stammtisch teil, und fortan wurde das ein regelmäßiger Termin. Als dann die Planung für das Treffen in Großenbrode begann, stand für mich fest: „Da sind wir dabei“. Worauf die beste Ehefrau von allen bemerkte: „Aber ohne mich“. Ein Blick auf die Seekarte ließ auch mich wieder zweifeln: Von Falshöft gute 40sm quer über die Kieler Bucht bis Fehmarn, dann noch etwa 15 sm durch Fehmarnsund und Läbecker Bucht bis Großenbrode. Für so ein kleines Schiffchen ganz schön weit, und in einem Tag kaum zu schaffen. Aber da ich inzwischen zu meinem „marsvin“ ein fast unbegrenztes Vertrauen gefasst hatte, ging ich in die nähere Planung, und da Renate sich hartnäckig weigerte, so einen langen Schlag mitzusegeln, plante ich das Ganze als Einhandtörn. Ein Tag Urlaub wurde mit eingeplant, um die Strecke in zwei Etappen zu unterteilen, erster Tag Falshöft – Orth, zweiter Tag Orth – Großenbrode. Eine ohnehin für später angedachte Selbststeueranlage, im Folgenden „Gustaf“ genannt, sollte mich vor der Fron des stundenlangen Rudergehens bewahren. Renate wurde derweil dazu ausersehen, per Landtransport das Forums-Treffen mit Bier zu versorgen. Am Wochenende vor dem Treffen wurde „marsvin“ für große Fahrt ausgerüstet und verproviantiert, am Donnerstagabend, nach geleistetem Tagwerk reisten wir dann nach Falshöft an und schleppten letzten Proviant an Bord. Nach einem kleinen Umtrunk mit den Nachbarn ging es früh zu Bett, und etwas gespannt war ich schon, war es doch der erste längere Törn seit vielen Jahren, und der erste Einhand und mit einem so kleinen Boot. Um Punkt acht Uhr am nächsten Morgen saß ich auf dem Trecker, um „marsvin“ in ihr Element zu befördern. Früher ist das Treckern leider wegen Platzruhe untersagt, also schnell ins Wasser mit ihr, der Weg ist noch lang. Leider ist am Ende des Slips nur wenig Wasser und die kleine Sandbank, die sich dort in diesem Jahr gebildet hat, fällt fast trocken. „Marsvin“ hat mit aufgeholtem Kiel zwar nur etwa 40 cm Tiefgang, aber das ist nun doch zuwenig Wasser. Also schneller Rundblick: Keiner der anderen Trecker-miteigner zu sehen, Rückwärtsgang rein, durch die erste Rinne hindurch, über die Sandbank hinüber in tiefe Wasser mit dem Trailer, schnell das Boot runtergeschoben und an die Boje gelegt und ganz schnell den Trecker wieder aus dem Wasser raus und ganz unschuldig zurück zum Liegeplatz. Das hätte aber wieder Mecker gegeben. Um 9.00 Uhr gehe ich mit den allerletzten Sachen an Bord, kaum habe ich meine Wathose ausgezogen, steht Renate am Ufer und winkt, ich habe mein Kopfkissen vergessen. Da man ja keinesfalls ohne Kopfkissen segeln kann, klettere ich wieder in die Wathose, wate an Land, nehme das Kissen entgegen, wate wieder zum Boot, Wathose aus und verstaut. Manchmal ist ein Stegplatz vielleicht doch ganz schön. Motor an, der kommt wie gewohnt beim zweiten Zug, Festmacher von der Boje und los. Wir sind unterwegs, und das um 9.05 Uhr, kaum mehr als eine halbe Stunde später als geplant. Im tiefen Wasser senke ich den Kiel und das Ruder ab und setze Segel. Nach nur zehn Minuten ist der Motor aus und himmlische Ruhe legt sich übers Boot, vor einem leichten Dreier aus West zieht „marsvin“ mit 4,5 kn Richtung Osten. Kurz noch die Wegepunkte eingegeben, den Gustaf auf GPS gestellt und jetzt findet „marsvin“ Fehmarn auch ohne meine Hilfe. Als der Wind etwas nördlich dreht, baume ich die Genua nach Luv aus, und wir ziehen im Schmetterling mit 5 kn dahin. Kann Segeln schön sein. Die See ist fast leergefegt, nur ganz wenige Segel sind in Sicht, keine Berufsschiffahrt. Doch was ist das: Von Seuerbord voraus kommt ein ganzer Pulk Segelboote entgegen, ein Regattafeld, das von Eckernförde hoch am Wind Richtung Flensburger Förde läuft. Die Peilung steht im wesentlichen, ich werde also mitten durch das Feld hindurchsegeln, dabei habe ich Wegerecht, da ich auf Backbordbug liege. Als das Feld heran ist erweist sich der Abstand zwischen den Booten als groß genug, dass ich mit kleinen Kursänderungen so fahren kann, dass keiner der Anderen wegen mir seinen Kurs ändern muss, ich segle also ohne auch nur einen zu behindern, mitten durch ein Regattafeld von ca. 25 großen Yachten! Nach diesem Aufreger übergebe ich das Ruder wieder an Gustaf, nehme ein kleines zweites Frühstück ein, und genieße den Tag. Der Wind hat mittlerweile auf 4-5 aufgebrist, die Fahrt schwankt zwischen 5,5 und 6 kn, wir sind also ständig über Rumpfgeschwindigkeit. Nach einiger Zeit taucht genau voraus einer der Maasholmer Angelkutter auf. Die Ostsee ist so groß und völlig leer, aber der muss mit seinen Anglern direkt vor meinem Bug herumtreiben. Aber als ich gerade den Gustaf ausklinken will, um Kurs zu ändern, gibt der Skipper ein Hornsignal, alle zeihen ihre Angeln ein, die Maschine geht voraus und er fährt etwa zwei Kabellängen nach Backbord. Danke. Bordroutine zieht wieder ein. Jede volle Stunde entnehme ich meine Position aus dem GPS und trage sie in die Karte und ins Logbuch ein. In Höhe der Kieler Förde taucht von Steuerbord her ein seltsames rotes Gefährt auf. Wie ein Wald von Ofenrohren stehen diverse Schornsteine an Deck herum, mit langsamer Fahrt verschwindet das „Ding“ in Richtung Langeland, offensichtlich handelt es sich um die neu in Dienst gestellte Fähre nach Bagenkop. Gegen 13 Uhr kann ich bei sehr guter Sicht an Backbord die Südspitze von Langeland und an Steuerbord die Hochhäuser von Wendtorf sehen. Das dürfte etwa die Hälfte der für heute geplanten Strecke nach Orth sein, wir kommen sensationell voran. Allerdings baut sich bei jetzt permanent 5 Windstärken eine hohe mitlaufende Welle auf, die Gustaf das Steuern zunehmend schwerer macht. Zusätzlich nähern wir uns jetzt bald dem nächsten spannenden Punkt unseres Kurses: Wir müssen den vielbefahrenen Kiel – Ostseeweg queren. Auf dem habe ich früher auf unseren Törns von Heiligenhafen aus Richtung Grossen Belt oder Bagenkop etliche unangenehme Begegnungen gehabt, manchmal auch noch bei schlechter Sicht. Hier herrscht oft ein Verkehr „wie auf der Amsinckstrasse am Freitag nachmittag!“ Heute allerdings sehe ich nur mehrere Meilen voraus einen Frachter aufkommen, bis der heran ist, habe ich den Schifffahrtsweg längst passiert, viel später kommt noch ein Schiff aus Richtung Förde, passiert weit hinter mir. Voraus kommt jetzt ein turmähnliches Objekt in Sicht das ich als Leuchtturm Flügge anspreche. Allerdings liegt es an Steuerbord von meiner Kurslinie, Flügge muss ich aber an Backbord liegen lassen. Sollte mit meiner Navigation etwas nicht stimmen? Meine Stundenpositionen liegen aber exakt auf der Kurslinie. Nachdem der Turm nach einiger Zeit eine seltsame Verdickung aufweist, kommt mir die Erleuchtung: Das ist der Funkturm der über Heiligenhafen auf dem Hügel steht und viel weiter sichtbar ist, als der Flügge. Es ist doch schon lange her, dass ich in diesem Revier gesegelt bin. Nachdem ich einige Tonnen des Schiessgebietes passiert habe, kommen nacheinander der Bogen der Fehmarnsundbrücke und der Flügge in Sicht, genau da , wo sie laut Karte sein sollten. Navi stimmt. Durch die doch jetzt ziemlich grobe Welle, ist Gustaf überfordert, er fährt die Schubstange hektisch rein und raus und kling zunehmend gequält. Also übernehme ich selbst das Ruder und versuche, die Wellen, so gut es geht, auszusteuern. Die Wellenkämme bauen sich bedrohlich hinter dem Heck auf, „marsvin“ nimmt auf dem Wellenrücken Fahrt auf und surft die Welle hinunter, dann läuft die Welle durch, die Fahrt geht runter und das Spiel beginnt neu auf der nächsten Welle. Das ist einfach nur geil. Wenn jetzt nur nicht wieder dieser blöde Zahnschmerz durchkäme. Leider hatte mein Zahnarzt am Vortag keine Zeit mehr für mich. Da es auch nicht so schlimm war, habe ich nicht weiter darauf bestanden. Na ja, man kann nicht alles haben, Supersegeln bei Traumwetter und schmerzfrei. Noch vor 17.00 Uhr passieren wir Flügge und laufen in den Fehmarnsund ein. Jetzt nur noch nach Orth hinein, dann haben wir unser Tagesziel erreicht. Aber wir haben traumhaftes Segelwetter, noch etwas mehr als 10 sm nach Großenbrode und noch viele Stunden Tageslicht. Die Welle ist hier im Sund auch wieder moderater geworden, so das Gustaf wieder das Ruder übernehmen kann. Ich denke also gar nicht ans Einlaufen, sondern folge dem Fahrwasser und ein guter Knoten mitlaufender Strom schiebt mich unter der Brücke hindurch. Weiter dem Tonnestrich folgend, überlege ich, wann ich das Fahrwasser verlassen kann. Ich weis, hier liegen viele große Steine unter Land. Ich will aber auch nicht zuviel Höhe verschenken. Drei Tonnen vor Schluss gehe ich an den Wind. Nun wird’s aber noch mal gemischt. Den ganzen Tag bin ich vor dem Wind gefahren, führe eigentlich zuviel Segelfläche. Zusätzlich ist der Wind hier in Lee vom Land sehr böig, aber das Wasser ist fast glatt. Ich versuche, so hoch wie es meine ausgewehten Segel zulassen, an den Wind zu gehen, habe aber zu viel Lage, fast keine Fahrt im Schiff. Reffen will ich für die letzten drei Meilen nicht mehr, also fiere ich das Großsegel etwas, so das es einen Gegenbauch bildet und nur hinten zieht. So geht es mehr schlecht als recht. Als der Wind in Böen durch die Häuser von Großenbrode pfeift, habe ich es satt und berge das Groß. Nur mit Genua liegt das Boot wieder gut am Wind, und die letzte Meile zur Ansteuerungstonne ist schnell geschafft. Noch mal schnell einen Blick auf die Detailkarte, dann berge ich bei der Ansteuerungstonne die Genua, starte den Motor und fahre in den Binnensee ein. Gegen kräftige Böen, die über den Binnensee ziehen, motoren wir zum Yachthafen und kommen kurz vor der Einfahrt in die Landabdeckung. Nach einer kurzen Orientierungsrunde im sind wir mit tatkräftiger Hilfe einiger Forumsfreunde um 18:35 Uhr in einer Box fest. „wer bist du denn, woher kommst du“, ist die kurze Vorstellung, nur Minuten später laufen Jan uns Seekreuzer ein, und am Abend sitzen wir alle beim Bier zusammen, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Siggi
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Der Restothread für meine Condor 55 "marsvin": https://www.boote-forum.de/showthread.php?t=49473 |
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