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Törnberichte Wie der Name schon sagt. Keine Antwortmöglichkeit! |
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Reisebericht Paddeln auf der Altmühl
Hier ein kleiner Reisebericht über unsere erste mehrtägige Tour auf der Altmühl
Boot: RZ85/2, ca. 50 Jahre alt, plus Orig.-Bootswagen Besatzung: zwei Personen Gepäck: komplette Campingausrüstung (Zelt, Luftmatratzen, Schlafsäcke, Isomatten, Gaskocher, Feuerzeug, Campinggeschirr, Besteck, Campinglampe) Klamotten, festes Schuhwerk, Matrosenmesser elektronische Sicherung für das Boot, diverse Leinen Reparaturset (Panzerklebeband, Spezialkleber, Flicken, Werkzeug) erste Hilfe-Zubehör, Diabetikerbesteck in doppelter Ausführung, Sonnenschutzcreme, Waschzeug Handys, Kamera, Camcorder, Tagebuch, Schreibzeug Feldflaschen, Wasserkanister, China-Nudelpäckchen, Beutelsuppen, Teebeutel, lösliche Vitamintabletten 1. Tag Sonntag, d. 27.05.2007 Wir starten 8.00h in der Früh, eine Stunde später als geplant, eine Stunde eher als erwartet. Gegen Mittag sind wir in Gunzenhausen, suchen und finden den Bootsanleger und auf der anderen Seite des Flusses einen kostenlosen Parkplatz, wo wir den Wagen für die nächsten Tage parken und später wieder abholen werden. Am Anleger liegt schon ein Klepperboot, nagelneu, wie uns sein stolzer Besitzer sagt, der zu uns über die Wiese kommt und interessiert auf unser Poucherboot schaut. Ich denke mir, zusammengebaut hat er den Klepper sicherlich schneller als wir unser Boot, aber die besseren Fahreigenschaften werden Poucherbooten zugeschrieben. Die Sonne knallt vom Himmel, wir haben über 30 Grad und keinen Schatten. Schneller als gedacht haben wir das Boot zusammengebaut. Das Einsetzen geht auch problemlos von statten, dann beladen wir es. Alles, was wir mitnehmen wollen, haben wir unterbringen können. Als wir schlussendlich ins Boot steigen, ziehen dunkle Wolken auf und hinter uns, noch in der Ferne, hört man Donnergrollen. Wir lassen uns nicht stören und legen ab. Kurz darauf finden wir uns in einer Schilflandschaft wieder, links und rechts nur Schilf und Gras und wenige Bäume, der Fluss teilt sich in viele kleine Nebenarme, die aber irgendwann immer wieder zusammenzufliessen scheinen. Nach wenigen Minuten überrascht uns ein Platzregen, Jens zieht sich eine Jacke über, die zwar kurzfristig wasserabweisend, aber nach wenigen Minuten völlig durchnässt ist. Ich ziehe mir schnell den einen tarngefleckten Regenponcho an, der hält dicht. Nach ein paar Minuten verziehen sich die Wolken, der Regen hört so plötzlich auf wie er begonnen hat. Wieder scheint die Sonne, sie brennt förmlich auf uns nieder. Wir gleiten fast lautlos durch das Delta aus Schilf und Gras, an den Ufern sehen wir grössere und kleinere Löcher im Boden, ich vermute Bisamratten, die dort wohnen, habe aber noch nie eine gesehen. Irgendwann wird das Wasser flach, die Paddel stossen an, dann wird es noch flacher, keine 20cm mehr, und kurz darauf wir sitzen wir sanft auf Sand auf. Jens guckt ungläubig, ich steige aus dem Boot, schliesslich bin ich schwerer. Das Wasser um mich herum umspült meine Beine, es geht mir gerade eine Handbreit über die Knöchel und ist derartig warm, unglaublich, richtig lauwarm. Erinnert mich an die heimische Badewanne. Später sitzen wir noch zweimal auf und jedes Mal steige ich aus, weil ich hinten sitze und mehr Raum zum Ausstieg habe, ich finde es lustig mitten im Fluss zu stehen, ausserdem passiert dem Boot nichts. Irgendwann haben wir es aber begriffen: In diesem Fluss sind die Untiefen nicht am Ufer sondern in der Mitte. Wir fahren Stunden durch das von unglaublich vielen Vögeln bevölkerten Delta, wir sehen Enten, Blesshühner, einen Milan fliegt über uns hinweg, Bisamratten und Flussbiber. Die Sonne brennt vom Himmel und Jens’ Hände werden langsam rot. Leider liegt die Sonnencreme in einem Packsack, der vorne in der Bootsspitze verstaut ist, da kommt man während der Fahrt beim besten Willen nicht ran. Irgendwann kommt ein Rastplatz am Wasser, wir legen an, Jens kramt nach der Sonnencreme, ich setze mich derweil auf die kleine Brücke, die über den Fluss geht und lasse die Beine in der Luft baumeln. Der Asphalt ist heiss und flimmernd, ringsum ist es still bis auf das Vogelgezwitscher, der kleine Ort nebenan scheint zu schlafen, zwei Autos kommen über die Brücke gefahren, niemand hupt, sie fahren vorsichtig an meinem Rücken vorbei, die Brücke ist schmal. Wir fahren weiter durch das Schilfmeer, langsam ändert sich die Kulisse, es tauchen mehr und mehr Sträucher und Bäume auf, immer wieder sehen wir Bisamratten, sie schwimmen elegant durchs Wasser, man sieht nur den Kopf aus dem Wasser ragen, wenn wir herankommen, tauchen sie ab. Manche haben Schilfgräser im Maul und scheinen sie zu transportieren. Ich frage mich, wann es dunkel wird und ob wir es schaffen, noch vor der Dunkelheit in Treutlingen auf dem Bootsrastplatz anzukommen. Wir haben erst halb drei eingesetzt und müssen heute 20km bewältigen, da erst dann der erste Bootrastplatz kommt, wir müssen erst das Naturschutzgebiet durchqueren. Auf der linken Seite tauchen jetzt Häuser auf, kleine Treppen führen hinab zum Fluss, hier und da liegt ein Boot angeleint an einem Pflock. Jens hängt die Füsse nach vorne aus dem Boot, mit der Zeit wird einem der Holzsitz doch zu hart und man möchte seine Position etwas ändern, ich habe genau vier Sitzpositionen, aber keine halte ich länger als 10 Minuten aus. Plötzlich sehe ich vor uns wieder einen Rattenkopf aus dem Wasser schauen, aber er ist doppelt so gross wie die bisherigen. Während ich noch überlege, wie gross das Tier sein mag, wenn schon der Kopf solche Ausmaße hat, macht es vor uns plötzlich einen Riesensprung, ein riesiger Flussbiber hechtet mit seinem gesamten Körper aus dem Wasser und taucht sofort wieder ein und verschwindet. Jens zieht schnell die Füsse ein, ich muss lachen. Fünf Kilometer vor dem Ziel fängt mein leidiger linker Ellbogen an zu schmerzen, Nerv oder Gelenk, das habe ich in den letzten Wochen nicht herausfinden können, aber ich weiss, wenn ich ihn ab jetzt nicht mehr beanspruche und eine Nacht darüber schlafe, ist er morgen wieder einsatzbereit. So paddelt Jens alleine, aber wir geraten dadurch in Verzug. 800 Meter vor dem Ziel kommt ein Wehr, wir holen das Boot aus dem Wasser, aber nach weiteren 200 Metern soll noch eine Staustufe kommen. Ich habe weder Lust noch viel Energie, den Kraftakt des Umsetzens gleich zweimal hintereinander zu praktizieren, und es ist schon ziemlich dunkel. Mir ist klar, wir werden es auf dem Wasser nicht mehr bis zum Bootsplatz schaffen. Es ist verboten bei Dunkelheit zu fahren, ausserdem würden wir etwaige Hindernisse nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vielleicht sogar den Bootsanleger am Rastplatz übersehen und zu weit fahren. Es ist halb zehn und ich bin ratlos. Je länger wir überlegen, desto dunkler wird es. Wir sind in Treutlingen, die Laternen brennen und schenken uns wenigstens etwas Licht, der Himmel aber ist schwarz und das Wasser noch schwärzer. Jens geht los um zu schauen, wie die Staustufe in 200 Metern aussieht und ob es vielleicht sogar Laternen bis zum Bootsrastplatz gibt, so dass man vielleicht doch noch bis dorthin paddeln könnte. Ich hocke unter der Brücke und ärgere mich, weil mir nichts einfällt. Jens kommt zurück und meint, nach der Staustufe ist es duster und man sieht auch keinen Bootsrastplatz. Er meint, wir könnten unter der Brücke nächtigen, aber ich finde keine Möglichkeit, das Boot dort zu sichern. Neben der Brücke gäbe es einen Pflock, aber ich frage mich, was passiert, wenn es nachts anfängt zu regnen und wir kein Dach über dem Kopf haben. Irgendwann laden wir das Boot auf den Bootswagen und beschliessen, irgendwie den Weg zum Bootsrastplatz zu finden. Jens schiebt den Wagen, ich versuche, sein Gewicht über den holprigen Boden auszugleichen. Wir haben den Wagen mit Müh und Not und letzter Kraft gerade 50 Meter geschoben, da höre ich eine Stimme aus dem Dunkel: „Wo wollt’s ihr denn noch hin um diese Zeit?“ Ich sehe niemanden, antworte aber in die Dunkelheit hinein, dass wir zum Bootsrastplatz wollten. Die Stimme fragt, ob wir den Weg kennen, ich meine, wir hoffen, ihn zu finden. Da fragt es weiter: „Soll ich euch führen?“ Ich antworte: „Wenn Sie das tun würden?“ Einen Augenblick später kommt ein Mann aus dem Dunkeln. Er ist um die Fünfzig, trägt einen Trainingsanzug, glotzt mich an und riecht nach Wein. Ich fühle mich ungemütlich, aber Jens und ich sind zu zweit, und da ist auch noch mein Matrosenmesser, das ich am Gürtel über der Hüfte trage. Er soll mir nicht zu nahe kommen und sich keine Schwachheiten einbilden. Der Mann ist redselig und ich schmiere ihm ordentlich Honig ums Maul, irgendwann fasst er auch noch mit an und schiebt fleissig mit. Als wir auf dem Bootsrastplatz ankommen, ist alles ringsherum schwarz, und ich muss mir eingestehen, dass wir den Platz alleine nie gefunden hätten. Der Mann verabschiedet sich, wir danken ihm sehr und fangen an, nur im Schein unserer Laterne das Zeit aufzubauen. Mir ist es egal, ob der Aufbau heute abend schön aussieht oder nicht, Hauptsache das Zelt steht irgendwie und wir bleiben trocken und bekommen Schlaf. Kaum ist es aufgebaut, setzt schlagartig Regen ein. Jens hat seinen Poncho nicht an, aber ich. Also werde ich das Boot sichern und umdrehen. Als ich den Sicherungsdraht durch die Zugöse an der Bootsspitze fädeln will, merke ich, dass der Draht einen Bruchteil eines Millimeters zu dick ist. Unglaublich! Da fällt mir nur noch eine andere Metallöse am 2er Spant im Bootsinneren ein. Es giesst wie aus Kübeln, meine Hosen sind inzwischen klatschnass, das Wasser läuft an mir herunter, wenige Minuten haben dafür gereicht. Ich drehe das Boot wieder um, fädele den Draht durch die Öse und drehe das Boot erneut aufs Gesicht. Dann greife ich mir die Laterne, die Gottseidank Regenwasser verträgt und stolpere ich ins Zelt, nass bis auf die Knochen. Mir ist kalt und ich bin ernsthaft frustriert, weil es meine einzige derbe Stoffhose ist, die jetzt irgendwie trocknen muss. Jens hat derweil die dünnen Matratzen Luft ziehen lassen und die Schlafsäcke ausgerollt. Wir wechseln unsere Sachen. Im Schlafsack fange ich an, mich aufzuwärmen und zu entspannen. Hauptsache trocken und warm, und den Rest werden wir morgen früh sehen. Die Nacht wird trotzdem unbequem, meine linke Schulter regt sich auf, wenn ich mich darauflege, bei Jens ist es die Hüfte, die den Druck auf dem harten Boden nicht mag. Ich werde alle Stunden von der Härte des Bodens wach und höre den Regen unaufhörlich auf das Zeltdach prasseln und frage mich, wie wir das zwei weitere Tage aushalten sollen. 2. Tag Montag, d. 28.05.2007 Sieben Uhr wache ich auf. Obwohl die Nacht war wie ein durchlöcherter Käse, immer wieder aufgewacht, fühle ich mich recht fit, nur meine Nase ist auf einer Seite verstopft – so schnell kann es gehen. Es hat die ganze Nacht geregnet und es regnet immer noch, und jetzt ist es auch noch empfindlich kalt geworden. Das ist der angekündigte Temperatursturz von 10 bis 15 Grad auf etwas 7 - 8 Grad. Regen und Kälte – ich mag beides nicht, aber beides zusammen ist einfach nur ätzend. Auch Jens ist nicht in bester Laune. Ich muss auf Toilette. Und weiss nicht was ich anziehen soll. Der Poncho von gestern abend ist immer noch nass. Sobald ich an die Zeltwand kommt, tropft es herein. Mein Rücken tut weh, ich weiss nicht, wie ich mich in dem kleinen Zelt anziehen soll. Ich entscheide mich für den Badeanzug, darüber den kalten, nassen Poncho, eine totale Überwindung, er klebt mir sofort auf der nackten Haut. Ich packe die Kulturtasche und krabbele aus dem Zelt. Es ist kalt und windig, der Wind fegt den Regen in Wellen über den Platz, wo ausser unserem nur noch ein einziges anderes Zelt steht. Auf dem Weg zum WC überkommen mich Zweifel, ich sehne mich nach einem trockenen Bett und etwas Wärme für meinen unterkühlten Körper. Zurückgekommen frage ich Jens, was wir machen wollen? Weitermachen, aufgeben? Vielleicht die nächste Nacht in einer Pension verbringen? Jens geht zum WC und ich sehe ein Pärchen an dem anderen Zelt, sie packen ihre Sachen und tragen sie zum Auto, sie geben auf, es hätte keinen Sinn, und 10 Minuten später sind wir die einzigen auf den Platz, inmitten der Wallachei. Als ich dann sehe, dass über Nacht auch noch Wasser ins Zelt gelaufen ist und die Luftmatratzen vorne nassgeworden sind, kriege ich fast einen Koller. Ich möchte nicht aufgeben, aber ich möchte mich auch in nichts verrennen. Als Jens vom WC zurückkommt, beratschlagen wir. Ich meine, wir könnten auf den Zeltplatzwart warten, der hier aller zwei Stunden vorbeikommen soll und ihn nach einer Pension fragen, wo man mit Boot unterkommt und die Klamotten trocknen kann. Jens ist einverstanden, will auch nicht aufgeben. Also warten wir auf den Platzwart. Es regnet unaufhörlich und der Baum, unter den wir uns gestellt haben, ist nicht wirklich eine Hilfe. Ich bin fertig wegen dem widerlichen Wetter. Ich friere wie ein junger Hund, kann Kälte schlechter ab als Jens und träume von einem trockenen warmen Bett in einer Pension. Da kommt ein Mann auf einem Fahrrad. Ich vermute den Platzwart, der sich seine 6 Euro Gebühr holen will, aber als er näher kommt, erkenne ich den Mann von gestern abend. Er steigt vom Rad und fragt, wie es uns ginge und ob wir gestern abend noch das Zelt schnell genug aufbauen konnte. Ich bejahe, sage aber, dass wir trotzdem nasse Klamotten hätten. Da nimmt er einen Stoffbeutel vom Lenker seines Rades und holt eine Thermoskanne hervor und meint, er hätte sich überlegt, dass wir vielleicht keinen Kaffee dabei haben und da hätte er uns welchen gemacht und hergebracht. Ich bin ehrlich sprachlos. Worte finde ich erst, als er neben Kaffeesahne in einer kleinen Dose auch noch Kuchenteilchen auspackt. Geld will er keines sehen. Also lassen wir uns nicht lange bitte und machen uns über Kaffee und Quarkschnecken her. Inzwischen hat es plötzlich aufgehört zu regnen. Ich jage mir 2 Einheiten Insulin durch den Badeanzug in den Bauch, ganz wenig, denn irgendwie habe ich das Gefühl, angesichts der ganzen Bewegung weniger als sonst zu brauchen. Der Mann ist wieder sehr gesprächig und ich nutze das, um die Informationen zu bekommen, die wir brauchen. Und je länger wir reden, desto weniger denke ich daran den Wagen zu holen um in eine Pension zu fahren. Es geht mir besser, der moralische Tiefpunkt scheint überwunden zu sein. Nicht nur, weil es plötzlich aufgehört hat zu regnen – es wird weiterer Regen erwartet – sondern weil dieser Mann genau in dem Moment aufgetaucht ist, als wir eine wichtige Entscheidung zu treffen hatten: Aufgeben oder weitermachen. Ich fühle mich mit jedem Schluck Kaffee besser. Der Mann macht einen etwas derben Scherz, aber ich ignoriere es, dann erzählt er vom Fluss und den Bibern und dass wir erst nach dem Schilfmeer hätten einsetzen sollen, wegen der Untiefen eben. Aber ich sage, es war trotzdem schön dort oben, ich möchte es nicht missen, was wir dort gesehen haben. Der Mann radelt irgendwann wieder weg, ich bin auch irgendwie froh darüber. Wir packen schnell zusammen, solange es nicht regnet, setzen das Boot ein, beladen es, schnell, bevor der Platzwart kommt, wir können die 6 Euro vielleicht sparen, wenn wir schnell genug weg sind. Wir werden weiterfahren und ggfs beim nächsten Campingplatz schauen, ob man im Ort vielleicht auch eine Pension findet. Auf jeden Fall aber werden wir mit dem Boot weiterfahren. Wir fahren eine Viertelstunde, da fängt es wieder an zu regnen. Kein Platzregen, aber eben Regen, der Ringe auf dem sonst spiegelglatten, grünen Fluss hinterlässt. Ich bin hin- und hergerissen zwischen meiner Begeisterung über die Flusslandschaft, die auch bei Regen sehr reizvoll aussieht und meinem Frust, denn ich friere fürchterlich, wir haben vielleicht 8 Grad. Den einzigen warmen Pullover habe ich in einen wasserdichten Packsack gesteckt, für die Nacht. Ich riskiere nicht, diesen Pullover, der jetzt sehr wichtig ist, nasswerden zu lassen. Ich trage nun nur den Badeanzug, eine sehr dünne Stoffhose, die bis über die Knie geht, ein T-Shirt und den Regenponcho. Wir gleiten lautlos über den Fluss, nur unseren Paddelschlag hört man, und ein schlurfendes Geräusch, das die Säume meines Ponchos machen, denn ich ziehe sie im Wasser hinter mir her. Meine Knie sind eiskalt wie alles an mir, Regen rinnt an meinen Schienbeinen herunter, die Füsse stecken im Gepäck vor mir, irgendwo zwischen Transport-Tonne, Rollbeutel und sowieso schon nasser Jacke, die keiner mehr anziehen kann, ohne sich den Tod zu holen. Es ist idiotisch, aber meine nassen Füsse sind warm. Nach 6 Kilometern legen wir an in Pappenheim, hier ist ein Campingplatz, kein Bootsrastplatz sondern ein Campingplatz, da gibt es nicht nur ein WC mit einem Waschbecken sondern Duschen. Am Anleger liegt bereits ein Boot, ein Kanadier. Ein Ehepaar von Mitte 40 hat gerade sein Zelt aufgebaut. Ich sage, wir wollen eher in eine Pension. Die Frau gibt mir einen Stadtplan, da sind Pensionen aufgelistet. Dann geht sie über den Platz hinüber zu einen Stellplatz, der hat ein Holzdach, ringsherum ist er offen. Dort stehen Bänke und Tische, es ist eine Art Platz für gemütliches Zusammensein. Gemütlich ist hier nichts, aber nützlich: ein Dach aus Holz, das fast ganz und gar dicht ist. Dort zieht die Frau eine Leine und hängt Sachen zum Trocknen auf. Mir ist immer noch kalt, da hilft nur Bewegung, wenn überhaupt. So gehe ich ins Dorf um nach einer Pension zu suchen. Nach 10 Minuten habe ich noch immer keine gefunden und weiss, alles, was zu Fuss ohne Boot und Gepäck über 10 Minuten dauert, ist mit Boot und Gepäck nicht zu meistern. Ich kehre um, und während ich laufe, frage ich mich plötzlich, warum wir es nicht so machen wie die Frau: Sachen zum Trocknen aufhängen, Luftmatratzen auf die Tische legen und trocknen lassen? Man könnte sogar das Boot unter das Dach tragen, man müsste nur etwas die Tische und Bänke zusammenräumen. Das tun wir dann auch, wenn sollte das stören. Jens zieht eine Leine und ich hänge den ganzen nassen Kram auf in der Hoffnung, ihn trocken zu bekommen. Es ist inzwischen Mittag. Es regnet wie zuvor, die Luftfeuchte beträgt 98 Prozent und mir geht auf, dass wir unter diesen Umständen die Wäsche nicht trocken kriegen. Aber besser, sie hängt auf der Leine als dass sie nass im Zelt liegt. Das Ehepaar ist nett, wir unterhalten uns, und ich beneide sie um ihre wasserdichten und gefütterten Marken-Outdoor-Klamotten, sogar der Hut des Mannes ist wasserdicht, unsere sind schon längst durchnässt. Jens baut das Zelt auf, wir schmeissen unser restliches Gepäck hinein und gehen dann in den Ort, ein Lokal suchen. Wir haben irren Hunger. Neben einem Fränkischen Sauerbraten können wir uns auch aufwärmen, das ist fast genauso viel wert. Warm ist es und trocken. Die Prioritäten haben sich ziemlich schnell geändert. Was stört es mich, dass meine Haare nach allen Seiten stehen und der Poncho im Tarnfleck gemustert ist und manche Leute seltsam gucken. Hauptsache man trocken und warm. Für den Rest des Tages besichtigen wir noch die Burg Pappenheim. Von oben sehen wir sogar unser Zelt vor und das Boot unter dem Dach. Anschliessend kehren wir zum Zeltplatz zurück. Ich gehe duschen. Das heisse Wasser taut mich allmählich wieder auf und erinnert mich, dass ein Mensch 37 Grad Körpertemperatur hat. Normalerweise. Herrlich. Ich stehe bestimmt 10 Minuten unter der heissen Dusche. Danach ertrage ich sogar das nasse und kalte Handtuch, das trotzdem etwas abtrocknen hilft. Abends kochen wir unter dem Dach 4 Päckchen Chinanudeln. Sie sind gewürzt und machen warm – zumindest von innen. Der Tag endet optimistischer als er begonnen hat. Die Nacht ist nicht ganz so einfach. Meine Nase ist wieder auf einer Seite verstopft und ich hoffe nicht krankzuwerden. Die Gelenke, die Schulter vor allem, schmerzt, und ich habe Angst sie zu überstrapazieren, so dass es mit dem Paddeln schwierig werden könnte. Der Regen prasselt nur so aufs Zeltdach, er ist wieder heftiger geworden. Eigentlich wollten wir am nächsten Tag weiterfahren. Ich frage mich nun, ob wir das wirklich tun sollen. Als es ganz früh noch immer prasselt, denke ich mir, wir sollten einfach einen Tag hier bleiben und erst am nächsten weiterfahren, denn am Tag darauf sollte es freundlicher werden. Und trocken. Und wärmer. Mit dem Gedanken schlafe ich wieder ein. 3. Tag Dienstag, d. 29.05.2007 Auch am Morgen klatscht und prasselt es aufs Zelt. Pausenlos. Ausserdem höre ich jetzt etwas, was ich am Abend zuvor nur leise hören konnte: Das kräftige Rauschen des Wehrs nebenan. Kein Wunder, wenn es unaufhörlich regnet, steigt auch der Fluss an. Als wir aufstehen, stellen wir fest, dass es an einer Stelle ins Zelt geregnet hat. Ich kriege fast einen Anfall. Wir sind uns einig, einen Tag und noch eine Nacht hierzubleiben. Also nutzen wir den Tag für die Bootspflege und dem Versuch, die beste Stelle unter dem Dach zu finden, wo der kalte Wind unsere Klamotten trocken würde. Der Poncho ist schnell trocken, aber nicht meine Hose, die wird einfach nicht trocken. Wir kochen uns Kaffee und wieder viermal Chinanudeln. Ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis wir sie über haben und nicht mehr sehen können. Aber im Moment schmecken sie einfach fantastisch und sorgen für einen guten Blutzuckerspiegel. Danach gehen wieder in den Ort, nach 1,5 km Fussmarsch soll es einen Supermarkt geben, das hatte uns gestern ein Paar erzählt, die am Anleger standen und das anschwellende Wasser beobachteten. Wir laufen also durch den Ort, der Regen rinnt an unseren Ponchos herab, meine dünne Stoffhose wird an den Knien nass, die Ponchos werden langsam auch von innen feucht. Im Supermarkt angekommen interessieren mich weniger die Lebensmitteln als Müllbeutel, aus denen ich mit Hilfe von Panzerklebeband eine Art Behelfsverdeck für das Zelt basteln will. Ausserdem nehme ich noch eine Rolle feste Schnur mit. Danach gehen wir wieder zurück auf den Marktplatz und kehren wieder in „unser“ Lokal ein. Diesmal gibt es Schweinshaxe mit Weinkraut und Knödeln. Wir hauen tüchtig rein, auch ich esse das pure Fett mit, irgendwie braucht das der Körper im Moment, damit der Motor am Laufen bleibt, also kein schlechtes Gewissen. Dann sitzen wir einfach nur im Warmen und schwatzen. Irgendwann gönnen wir uns dann auch noch Kaffee und Kuchen, nach drei Stunden verlassen wir wieder das Lokal und gehen hinaus in den kalten Regen zurück zum Zelt. Dort zerschneide ich einen Müllbeutel und dichte das Zelt ab. Ausserdem habe ich die Nase voll, seit zwei Tagen in quietschnassen Schuhen herumzulaufen. Jetzt gibt es für Jens und mich aus Müllbeuteln gebastelte Füsslinge. Seltsamerweise waren meine Füsse, wo sie nass waren, immer recht warm, jetzt, wo sie trocken sind, sind sie eiskalt, daran ändert diesmal auch keine heisse Dusche etwas. Das Paar mit den Marken-Outdoor-Klamotten ist übrigens abgereist. Der Mann meinte, sie würden aufgeben, es hätte keinen Sinn. Dann fügt er hinzu, dass sie sowieso in zwei Tagen wieder auf Arbeit müssten. Seltsam, gestern meinten sie noch, sie würden heute weiterfahren. Wir aber hoffen auf das angekündigte bessere Wetter am nächsten Tag. Am Abend stelle ich fest, dass die eine Jacke fast ein bisschen trocken geworden ist, sie ist klamm und dreckig, aber es ist mir egal, sie wärmt mehr als der Poncho, also ziehe ich sie an, ich will sie trockentragen, darüber kommt der Poncho, und schon ist mir nicht mehr ganz so kalt. Nach einem Nudel-Abendbrot krabbeln wir ins Zelt. Nachts merken wir, dass es aufgehört hat zu regnen. 4. Tag Mittwoch, d. 30.05.2007 Es tropft nicht mehr aufs Zelt. Meine Nase ist wieder verstopft, aber nach bisheriger Erfahrung hat sich das nach dem Aufstehen immer wieder gegeben. Ich krabbele aus dem Zelt und stelle fest, es ist zwar grau, aber es regnet nicht mehr, ich kann es kaum glauben. Als wir beim Frühstück über Kaffee und Nudeln sitzen, reisst plötzlich der Himmel auf und die Sonne fängt an zu scheinen. Was für ein paradiesischer Zustand! Sofort stürze ich los und breite alle nassen Sachen in der Sonne aus, vor allem die Hose und die nassen Schuhe. Alles, was auf der Wiese herumsteht, wird als Wäschetrockner zweckentfremdet: Bänke, rostige Grillgeräte, Geländer.... Binnen einer halben Stunde ist alles, was tagelang nass war, trocken. Die Sonne macht alles schön, ich liebe die Sonne. Jetzt besonders. Wir packen unseren Kram zusammen, setzen das Boot ein, beladen es und fahren los. Der Wasserpegel ist spürbar gestiegen, bestimmt einen halben Meter. Bei Hochwasser soll man nicht fahren, der Fluss wird dann unberechenbar. Aber ab wann geht Hochwasser los? Doch sicherlich nicht bei einem halben Meter, denke ich mir. Als wir am Pappenheimer Wasserkraftwerk vorbeikommen, wird gefährliche Querströmung angekündigt, so steht es auf einem Warnschild. Dann sehe ich die Strömung und werde etwas nervös. Es ist keine Strömung, durch den erhöhten Wasserpegel ist es ein riesiges Tosen und Rauschen mit weissen Schaumkämmen. Ich rede mir und Jens ein, dass das alles nichts macht und zu bewältigen ist, dann gehen wir es an und versuchen, daran vorbeizukommen. Wir stossen uns ab, aber ehe wir es uns versehen, drückt und die Strömung an das gegenüberliegende Ufer. Mehr noch, das Wasser strömt nun mit voller Wucht gegen unser Boot und steigt über das Oberdeck bis an den Süllrand, d.h. ca. 4cm trennen uns davon, dass uns das Boot in Sekundenschnelle voll Wasser läuft. Ich lehne mich etwas auf die gegenüberliegende Seite, so dass das Wasser nun etwas mehr gegen den Boden läuft, aber wir müssen hier schnellstens weg. Wir unternehmen noch einen Versuch, stossen uns mit den Paddeln vom Ufer ab und paddeln mit aller Kraft. Es gelingt und wir kommen wieder in den normalen Flusslauf. Der Fluss trägt uns mit sich, es ist einfach schön. Durch die grössere Wassermenge ist ja nun mehr Strömung entstanden, so dass wir nicht so viel paddeln müssen um vorwärts zu kommen. Allerdings kann Strömung auch gefährlich werden, wie wir später feststellen mussten. Die Sonne scheint, das Wasser glitzert smaragdgrün, der Himmel ist ganz und gar blau und wir sind gut drauf. Der Fluss trägt uns durch wunderschöne Landschaften, die Abschnitte ändern sich ständig. Jetzt stehen viele Weiden am Ufer, Trauerweiden, ihre Zweige hängen bis tief ins Wasser, auf knorrigen Wurzeln sitzen Enten oder Blesshühner, wir gleiten lautlos über einen spiegelglatten Fluss von unbegreiflicher Schönheit, fast hat man das Gefühl zu schweben. Am Rand steht ein Graureiher, bewegungslos, majestätisch, würdevoll. Er dreht nicht einmal den Kopf zu uns, aber sicherlich beobachtet er uns aus den Augenwinkeln. Dann kommen wir in eine grosse Flussschlaufe, da stehen die „12 Apostel“, eine wunderschöne Felsenformation aus 12 Kalkfelsen. Immer wieder müssen wir Wehre umtragen, das ist kräfteraubend, denn während Leute mit Kunststoffkanus diese einfach am Seil die Treppe hochziehen oder herunterlassen, müssen wir unser Boot mit seiner jedes Mal richtig heben und tragen, und das sind gute 50kg. Wir kommen da öfter mal an die Grenzen der physischen Belastbarkeit, aber wir halten unser treues Boot sicher und fest, auch wenn man kaum noch Luft kriegt. Wir kommen nun in die Nähe der Hammermühle. Dort wird auf einem Schild ein „Absturz in 100 m“ angekündigt. Ich frage mich, was ein Absturz sein könnte und vor allem wie tief, und natürlich schauen wir intensiv nach dem Bootsausstieg davor. Wir können ihn nicht gleich sehen, da erfasst uns plötzlich eine Stromschnelle und drückt uns mit Schwung in eine im Wasser stehende Weide. Wir stossen uns mit den Paddeln ab, da höre ich Holz brechen, es kracht. Ich denke an morsche Weidenäste, da ruft Jens, das wäre sein Paddel gewesen, es ist gebrochen. Wir sind kurz vor dem Wehr und wir wissen noch immer nicht, wo der Anleger ist. Ich stosse das Boot mit aller Kraft von der Weide weg und manövriere es auf die andere Seite, natürlich immer mit Versatz in Richtung Absturz. Von der anderen Uferseite aus sehen wir ein zweites Boot in dieselbe Weide krachen, ein Kanadier, zwei Mädels und ein Mann sitzen darin mit Stechpaddeln. Während wir einer zweiten Weide noch ausweichen konnten, schleudern sie gleich in die nächste. Dann kommen sie zu uns auf die andere Flussseite und fragen nervös, ob wir wüssten wo der Bootsausstieg wäre, schliesslich käme ja gleich der Absturz. Wir sagen, wir wissen es auch nicht, und uns wäre gerade ein Paddel an der ersten Weide gebrochen. „Ach du ********“ sagen sie. Aber dann meinen sie, man müsste den Bootsanleger finden, und natürlich liessen sie uns den Vortritt. Was für Helden, denke ich, die haben noch alle Paddel und schicken uns vor. – Ich steuere uns quer über den Fluss, der uns aber mit der Strömung auf der Flussmitte unweigerlich näher an den Absturz zieht. Dann sehe ich den Anleger, ich versuche das Boot zu wenden, aber es droht daran vorbei gerissen zu werden. Ich schreie Jens zu, er soll mitpaddeln, er versucht es mit der einen Paddelhälfe, aber es geht nicht wirklich. Ich paddele wie verrückt und schaffe es irgendwie aus der Strömung herauszukommen, so dass wir doch noch den Anleger erreichen. An Land sehen wir den Kanadier auf der anderen Seite warten. Was für Helden! Wir ziehen das Boot aus dem Wasser. Die Sonne scheint, das macht gute Laune. Auf der Wiese breite ich eine Isomatte aus und sonne mich, ich tanke förmlich das Sonnenlicht. Dann überlegen wir, was wir mit dem Paddel machen. Einer alleine kann nicht – zumindest nicht ohne hohes Risiko – ein Boot von ca. 250 kg steuern. Bis Dollnstein, wo wir übernachten wollen, sind es ca. 6km. Eigentlich nicht viel, aber das Erlebnis von eben hat mich gehörig erschreckt und ich traue mir trotz meiner Erfahrung nicht zu. Nicht nach eben dieser Aktion. Wir sind mitten in der Pampa. Ich zücke das Handy und tatsächlich, wir haben Netz. Nach Herumtelefonierei über Touristenbüro und Bootsverleih bekommen wir ein Paddel vor Ort geliefert – gegen einen Aufpreis von 10 Euro. Das nehmen wir gerne in Kauf. Die zerbrochene Paddelhälfte lassen wir in einer Feuerstelle auf dem Platz liegen. Schade. Aber Paddel würde ich nie reparieren, zu riskant. Dann kommen wir in Dollnstein. Jens sucht den Campingplatz. Die haben sogar einen extra Anleger, der im Kanuführer nicht verzeichnet ist. Wir fahren die wenigen Meter noch weiter und legen am Campingplatz an. Hier stehen viele Zelte mit Kanus davor, aber alle haben Autos dabei, anscheinend hat sich hier keiner davon auf das pure Abenteuer eingelassen, nur mit Boot unterwegs zu sein. Jens baut das Zelt auf und nachdem unser Gepäck darin verstaut ist, gehen wir in den nächsten Landgasthof uns den Bauch voll mit regionalen Köstlichkeiten vollzuschlagen. Ich spritze kein Insulin, nach den Strapazen ist der Körper an Reserven gegangen, wenn ich mir jetzt was drücken würde, dann haut es mich weg. Gesättigt, zufrieden und rechtschaffend müde fallen wir ins Zelt. Dass die Temperaturen für diese Nacht mit 3 Grad angekündigt sind, auch mit stellenweisem Bodenfrost, bekommen wir nicht mit. Ich denke noch etwas über die Aktion an der Hammermühle nach, sie hat mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt. Aber ich bin auch froh und weiss, dass der Morgen klüger als der Abend ist. 5. Tag Donnerstag, d. 31.05.2007 Gegen halb acht werde ich wach und krabbele aus dem Zelt. Das Boot hatten wir letzte Nacht angeleint und gesichert am Bootssteg liegen lassen. Ich gehe zum Steg und werfe einen Blick hinein. Es ist trocken, was beweist, dass es auch kein Leck nach der letzten Aktion hat. Ich werfe einen Blick über den Fluss und sehe mich mit einem umwerfenden Bild konfrontiert: Über den Fluss zieht Nebel, die Sonne scheint schon und lässt den Fluss glitzern wie mit Gold übersät, es ist so atemberaubend, dass ich fotografieren muss, um dieses Bild nicht nur im Kopf mitnehmen zu können sondern auch als Poster an der Wand zu haben. Nach dem Duschen gehen wir ins nächste Café frühstücken, halb neun sind wir die ersten Gäste. Dann packen wir unsere Sachen, beladen das Boot und fahren weiter zu unserem Ziel: Eichstätt. Wieder 20km, wie die Etappen zuvor auch. Immer wieder müssen wir uns beim Umtragen von Wehren verausgaben, gestern und heute sind es allein acht Wehre gewesen. Dabei fällt auf, dass, je weiter wir flussabwärts fahren, der Abstand zwischen Ausstieg und Wehr immer geringer wird. Bei der gegenwärtig vorherrschenden Strömung ist das kein angenehmer Gedanke, denn Fehler machen darf man keine, oder man macht einen Abgang über das Wehr, zertrümmert sich das Boot, findet seine Sachen nie wieder und verklemmt sich schlimmstensfalls im Bootsgerüst, was zum Ertrinken führen kann. An einem Wehr angekommen, steigt Jens aus, um die Einsatzstelle hinter dem Wehr zu erkunden, ich stehe am Bootssteg. Da kommt plötzlich ein anderes Boot, darin sitzt ein junger Mann und drei kleineren Jungs. Als der Mann sieht, dass der Bootssteg bereits besetzt ist, bekommt er sichtlich Panik. Die Jungs sind auch aufgeregt, sind sich aber der Situation nicht wirklich voll bewusst. Der Mann beugt sich aus dem Boot weit hinüber und bekommt den Süllrand von unserem Boot zu fassen, dort krallt er sich fest. Ich rede ihm gut zu und löse die Leine von unserem Boot etwas, damit mehr Platz am Steg für sein Boot ist. Der Mann sagt kein Wort, hält sich nur krampfhaft fest. Ich sage ihm, dass Jens gleich kommt und wir das Boot dann herausheben, aber ich ziehe unser Boot etwas beiseite, was in der Strömung nicht einfach ist. Die Jungs lamentieren und stellen dumme Fragen, bis ich sie anfauche. Dann kommt Jens und wir heben das Boot heraus und tragen es auf den Rasen. Dann zieht der Typ sein Boot heraus. Er würdigt mich keines Blickes, Jens gegenüber gelingt gerade mal ein gequältes Grinsen, das ziemlich verzerrt aussieht. Ich glaube, ihm ist seine Panik peinlich. Dann legen noch sieben weitere Boote an, es ist eine Kindergruppe mit je einem Erwachsenen im Boot. Was für eine Verantwortung, denke ich an. Dann fahren wir unser Boot zur Einsatzstelle. Dort fallen mir fast die Augen aus dem Kopf, hinter dem Wehr brodelt und schäumt es wie in einem Hexenkessel. Was aber wirklich kritisch ist: es befindet sich ein halb verfaulter Pflock im Wasser, und durch den gestiegenen Wasserpegeln ist das obere Ende praktisch an der Wasseroberfläche, wenn unser Boot durch die Brandung darübergetrieben wird, riskieren wir einen Riss in der Bootshaut. Also ziehe ich mir mein T-Shirt aus, im Badeanzug stehe ich bis zur Hüfte im Wasser, das mich fast umwirft, Jens seilt derweil das Boot an und lädt ein, ich halte es immer schön weg von dem Pflock. Oben stehen ein paar der Kinder und sehen sich dieses Manöver ziemlich „besorgt“ an. Dann steige ich ein, Jens gleich danach. Wir stossen uns ab und drehen in die Strömung, die uns sofort erfasst und den Fluss hinunterträgt – alles ist gut. Einige Kilometer weiter flussabwärts sehen wir einen „Brotzeit-Wagen“ an einer Brücke stehen, vor uns hat ein Mann mit seinem Sohn angelegt, Jens wirft ihm die Leine zu und er zieht uns ans Ufer, es ist kein richtiger Anleger, aber einen Pflock gibt es. Dort leinen wir fest an und gehen an Land zu dem Wagen. Dort gibt es ein Steak mit Kartoffelsalat und ein Radler für Jens, eine Portion Kartoffelsalat und eine Apfelschorle und später auch ein Stück frischen Erdbeerkuchen für mich. Kaffee für uns beide. Herrlich. Die Sonne scheint. Ich kann es noch immer nicht glauben, aber nach zwei Tagen und Nächten Dauerregen glaubt man, es hört nie wieder auf. Nach einigen weiteren Kilometern und zwei Wehren kommen wir in Eichstätt an. Wir durchfahren die Stadt mit ihren Brücken und vielen Kirchen links und rechts, eine sehr schöne Stadt, ringsherum ist alles wie ein grosser Park, am Ufer stehen Leute und die Kinder winken, wir winken zurück. Wir sind fast da. Am Bootsrastplatz kommen wir kurz darauf an, legen an, laden diesmal alles aus und tragen es an den Ort, wo dann unser Zelt stehen wird, dann heben wir unser treues Boot aus dem Wasser und tragen es ebenfalls über die Wiese. Nachdem alles im Zelt verstaut ist, drehen wir das Boot um, sichern es und gehen wieder mal schön essen. Es ist inzwischen wärmer geworden, so dass wir sogar ein bisschen draussen sitzen. Abends fallen wir ins Zelt, und leider erst jetzt finde ich eine Möglichkeit, mein Schultergelenk zu schonen, nämlich mit einem der beiden selbstaufblasenden Sitzkissen, die wir normalerweise im Boot an die Lehne gepackt haben. Fürs nächste Mal wissen wir es jetzt. Fazit dieser Reise: Es war extrem. Extrem anstrengend. Extrem aufregend. Extrem schön. Je mehr Belastung, desto weniger Insulin. Trocken und warm ist im Extremfall wichtiger als sauber. Und: Marken-Outdoor-Klamotten sind nicht alles! Geändert von Waterfreak (24.09.2008 um 16:33 Uhr)
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