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Kein Boot Hier kann man allgemeinen Small Talk halten. Es muß ja nicht immer um Boote gehen. |
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Weihnachten unter Palmen
Weihnachten unter Palmen
Eine Weihnachtsgeschichte von Claus Beese ©Claus Beese 2004 Das hatte Paps sich wieder fein ausgedacht. Eine große Überraschung sollte es zu Weihnachten geben, und Mami, Chrissie und ich freuten uns schon insgeheim auf den Flug nach Hause. Weihnachten im Schnee, bei klirrender Kälte, Frost und einem leuchtenden Weihnachtsbaum in der warmen Stube, das war es, was wir uns unter einer großen Überraschung vorstellten. Seit drei Jahren segelten wir nun schon auf den Weltmeeren umher, und Paps fand es einfach toll. Warmes, glasklares Wasser, winzige Inseln mit Palmen und weißen Stränden, Nahrung aus dem Meer, unabhängig sein und segeln, wohin man will. Das war Paps Vorstellung von einem schönen Leben. Und seine Vorstellung von einer großen Weihnachtsüberraschung war demzufolge auch gar nicht so sehr weit davon entfernt: Heiligabend auf der Weihnachtsinsel, na, wenn das keine freudige Überraschung war. So hatte er von Jarvis Island aus den Kurs direkt auf Kiritimati gesetzt, einem Atoll im Zentralpazifik, das der britische Seefahrer und Weltumsegler James Cook am 25. Dezember 1777 entdeckt und deshalb Weihnachtsinsel genannt haben soll. Paps war ein guter Seemann und war die rund 500 km in einem Stück gesegelt. Wir hatten mit der „Esmeralda“ über Nacht in der „Bucht der fliegenden Fische“ an der Nordseite der Insel geankert, um am Morgen in den kleinen Hafen einzulaufen. Die Stimmung an Bord war nicht gut, denn Chrissie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie Schnee oder einen Weihnachtsbaum gesehen. Sie kannte das alles nur aus unseren Erzählungen, und zog daher eine Schnute. Mom war ebenfalls sauer und redete nicht mit Paps, und ich war so sehr mit meiner Flaschenpost beschäftigt, dass ich es nicht mitbekam, als unser Kapitän das Segelboot verließ. „Chrissie will endlich Schnee sehen!“ bettelte meine kleine Schwester und Mami nahm sie in den Arm und strich ihr liebevoll über die langen blonden Haare. „Ich auch, mein Schatz!“ seufzte sie. „Ich auch!“ Ich besah mein Werk verstohlen und war zufrieden. Wenn es einen Weihnachtsmann gab, dann würde dieser Brief, den ich in einer Flasche abschicken wollte, den Weg zum Nordpol finden. Ich hoffte nur, dass er nicht auch so lange für den Weg benötigen würde, wie unser Segelschiff. Ich steckte das Papier mit meinem Wunschzettel, auf dem ich unser Segelboot gemalt hatte, in die Flasche. Auf dem Boot hatte ich am Heck einen grünen Tannenbaum gemalt, denn ich konnte mich noch schwach daran erinnern, wie so einer aussah. Über unserem Boot schwebte eine dicke Wolke, aus der es große weiße Flocken schneite. Das war ein Bild, das man gar nicht missverstehen konnte. Der Weihnachtsmann musste wissen, was ich mir wünschte. Ich steckte den Korken auf die Flasche und warf meinen „Briefumschlag“ ins Meer. Gedankenverloren schaute ich zu, wie die Strömung ihn davontrug. Nach einiger Zeit verlor ich die auf den Wellen tanzende Flasche aus den Augen und wandte mich wieder Mom und Chrissie zu. „Ob der Weihnachtsmann diese Insel überhaupt kennt? Vielleicht hat er sie nicht einmal auf seinem Weltatlas?“ fragte ich Mami besorgt, aber die schüttelte lachend den Kopf. „Macht euch keine Sorgen!“ versprach sie. „Der Weihnachtsmann kennt jeden kleinen Flecken auf der Erde und jeden Winkel, in dem sich ein paar so kleine und süße Mäuse verstecken, wie Ihr. Er wird uns auch hier finden und euch die Geschenke bringen.“ Ach ja, Geschenke. Das größte Geschenk, dass er mir machen könnte, wäre, dass wir wieder nach Hause fahren. Ob die Kinder aus der Nachbarschaft wohl inzwischen zur Schule gehen mussten? Papa und Mom bemühten sich zwar, mir Lesen und Schreiben und Rechnen beizubringen, aber so ganz allein ohne andere Kinder war es einfach langweilig. Ich würde so gern in die Schule gehen. Dann hätte ich meinen Wunschzettel auch schreiben können, anstatt ihn zu malen. Nach einer ganzen Weile kam Paps gutgelaunt wieder an Bord. Er hatte frische Ananas dabei und leckeres Fladenbrot. Und er zwinkerte geheimnisvoll mit einem Auge. „Ihr ratet nicht, wen ich getroffen habe!“ verkündete er dann. „Und morgen am Heiligen Abend wird er nur für euch ein kleines Wunder vollbringen.“ „Den Weihnachtsmann?“ fragte Chrissie ehrfürchtig und machte ganz große Augen. Mom und ich guckten wohl etwas skeptisch, aber Paps nickte nur wortlos. Wie verbringt man die Zeit bis zum Eintreffen eines kleinen Wunders? Ich hatte keine Ahnung, aber irgendwie verrann der Tag ganz von selbst. Chrissie und ich tauchten um die Wette, und ich schaffte es, ein paar Muscheln von der Kaimauer zu lösen. Mami würde sie kochen und heute Abend zum Weihnachtsessen servieren. Die Sonne versank im Westen im Meer, und die kurze Abenddämmerung brach herein, als an der Hafenmole ein dunkelhäutiger Mann erschien, sich suchend umschaute und dann auf unser Boot zu kam. Papa wurde ganz unruhig und sprang an Land. Aufgeregt lief er dem Mann entgegen. Die beiden sprachen englisch zusammen, aber das hatte ich inzwischen gelernt und konnte darum gut verstehen, um was es ging. „Was ist los, Mann?“ fragte Papa ihn. „Sie sollten mit ihrem Helikopter schon lange in der Luft sein, um über unserer „Esmeralda“ den „Kunstschnee“ abzuwerfen, den ich per Luftfracht habe anliefern lassen!“ Der fremde Mann schien sehr traurig zu sein, und er breitete hilflos die Arme aus. „Es tut mir sehr leid, Käpten! Aber der Hubschrauber will nicht anspringen. Ich kann den Fehler nicht finden und werde morgen den ganzen Motor auseinander nehmen müssen. Es tut mir wirklich leid! Ich hätte den Auftrag gerne für Sie und Ihre Familie erledigt.“ antwortete der Pilot leise. Er schaute zu uns herüber. „Ich bin sicher, Ihre beiden kleinen Mädchen hätten sich sehr über diese Überraschung gefreut! Hier haben Sie ihr Geld zurück. Fröhliche Weihnachten, Mann!“ Er drückte meinem Vater den vereinbarten Lohn für den Flug in die Hand, den der schon im Voraus hatte zahlen müssen und wandte sich zum Gehen. Im selben Moment gingen die wenigen Hafenlaternen aus, und es wurde stockdunkel. Ein eiskalter Windhauch brauste vom Meer heran und ließ uns frösteln. Von ferne drang ein helles Klingen durch die Nacht und im leisen Heulen des Windes wurde es lauter und lauter und dann vernahmen wir ein dröhnendes Lachen. „Schlittenglocken!“ murmelte Mami. „Das sind doch Schlittenglocken!“ Und dann setzte ein Schneetreiben ein, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ganz dicht wirbelten die kalten weißen Flocken aus der Dunkelheit heran, setzten sich überall nieder und legten einen hellen Glanz auf die gute alte „Esmeralda“ und den Hafenkai, wo Paps und der Pilot mit offenem Mund standen und das unerwartete Naturschauspiel verfolgten. „Uiii!“ staunte Chrissie und versuchte, so wie ich es ihr erzählt hatte, die Schneeflocken mit dem Mund aufzufangen. Auf Mamis Haar bildete sich eine kleine weiße Mütze aus Schnee und sie lachte und formte einen kleinen Schneeball, den sie Paps zuwarf. Der Ball traf ihn mitten ins Gesicht. „Hoho!“ tönte ein lautes Lachen vom Himmel. „Fröhliche Weihnachten, Esmeralda und gute Heimkehr!“ Und dann wurde das Läuten der Schlittenglocken immer leiser, bevor es schließlich in der Ferne verklang. Am Heck des Schiffes, dort wo sonst die Fahne im Flaggenstock steckt, wurde es hell und ein kleiner bunt geschmückter Weihnachtsbaum erschien. In seinen Zweigen verteilt brannten flackernd einige Talglichter und verbreiteten in der schneehellen Umgebung einen Glanz, dass ich geblendet die Augen schloss. Versonnen standen wir vor dem leuchtenden Weihnachtsbaum am Schiffsheck und betrachteten das Flackern der Kerzen. Dann hörte der kalte Wind auf zu blasen, es schneite auch nicht mehr, und die vertraute Wärme der tropischen Nächte kehrte zurück. „Wenn wir Kurs auf Panama nehmen und dann immer Nordost halten, müssten wir zum nächsten Weihnachtsfest zu Hause sein.“ murmelte Paps und wir alle fanden, dass er ein guter Kapitän war. Allen Freunden und Lesern dieses Forums ein Frohes Weihnachtsfest
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Segle, wohin der Wind dich weht, und geh vor Anker, wo es dir gefällt. DODI-Skipper Claus |
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