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Kein Boot Hier kann man allgemeinen Small Talk halten. Es muß ja nicht immer um Boote gehen. |
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#1
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Seekarten aus dem Telefax...
Soeben ist eine Entscheidung des Seeamtes Emden vom 22.01.02 veröffentlicht worden, die interessante Einblicke in die Verhältnisse bei der Berufsschiffahrt ermöglicht:
Der unter liberianischer Flagge fahrende 8500-Tonnen-Kühlfrachter "CAP TRIUNFO" lief Anfang September 2001 im Finnischen Meerbusen knapp südlich der Insel Moshniy auf felsigem Grund auf und wurde am Unterboden schwer beschädigt. Es kam zwei Tage später mit Schlepperhilfe frei; der eingetretene Gesamtschaden belief sich auf ca 550.000 US-$. Das Kühlschiff wurde von einer Flensburger Reederei betrieben. Bemannt war es mit einem deutschen Kapitän, ca. 58 Jahre alt, drei philippinischen nautischen Offizieren, einem poln. Chief und weiteren 15 philip. Besatzungsangehörigen. "Die Besetzung des Fahrzeugs entsprach somit dem gültigen Safe Manning Document des Flaggenstaates". Das Schiff hatte in Ecuador Bananen geladen, die ursprünglich für einen Mittelmeer- oder Schwarzmeerhafen bestimmt waren. Im Atlantik aber wurde der Kapitän vom Befrachter angewiesen, St. Petersburg anzulaufen. Die Schiffsführung berechnete 2 Routen, nämlich rund Skagen und durch den NOK und informierte die Reederei, dass für die dänischen Küstengebiete und für das Ostseegebiet kein aktuelles Kartenmaterial und andere nautische Unterlagen an Bord seien. Der Kapitän bat die Reederei, sich beim Befrachter für die Route durch den NOK einzusetzen, weil er in einer Schleuse die entsprechenden Navigationsunterlagen besorgen wolle. Dagegen wies der Charterer aber die Schiffsführung an, den Weg rund Skagen, also auch durch den Sund, zu nehmen. Die Reederei erklärte dem Kapitän nach dessen Angaben, sie könne auf die Reiseroute keinen Einfluss nehmen. Ohne neueres Kartenmaterial für den Sund und ohne Seekarten für den finnischen Meerbusen und die Ansteuerung von St. Petersburg setzte das Schiff die Reise Richtung Nordsee fort. Die Seekarten für den Sund (BA 2594 u. 2595) erhielt die Schiffsführung dann, noch im engl. Kanal befindlich, stückweise an Bord gefaxt. Die Teile klebte anschliessend der 2. naut. Offizier zusammen. Mit diesem Material gelang nach Umrundung der dän. Nordspitze die Passage des Sundes. Da die Seekarten für das übrige zu befahrende Seegebiet immer noch fehlten, erstellte diese der 2. naut. Offizier auf Weisung des Kapitäns selbst, aus dem Catalogue of Admirality Charts. Hierzu entnahm er die Koordinaten aus dem BA-Kartenverzeichnis und übertrug Küstenlinien, Inseln usw. in stark vergrössertem Massstab auf Plotting Sheets. Zusätzlich wies der Kapitän die Steuerleute an, vorsichtig zu navigieren und Echolot und -schreiber laufend zu beobachten. Am Unfalltag, vor der Ansteuerung von St. Petersburg, verliess der Kapitän die Brücke des Schiffes, um das Einklarieren vorzubereiten. Wache hatte der 2. Offizier. Das Schiff lief mit mehr als 18 kn Fahrt unter Autopilot; der Zweite beobachtete alle 10 min den Tiefenschreiber und alle 15 min das Radargerät. Er sagte in der SA-Verhandlung weiter aus, er habe zwar die Insel Moshniy bemerkt (heller Nachmittag, gute Sicht, 4 bft), aber keine Tonnen, Landmarken oder Leuchttürme wahrgenommen. Das Schiff lief mit voller Fahrt, mit mehr als 18 kn, unter Autopilot (so die Aussage des Kapitäns; nach Aussage des 2. Offiziers habe er, der WO, bei einer deutlichen Verminderung der Wassertiefe auf Handsteuerung umgeschaltet) auf Grund auf. Nach dem Unfall wurde auf dem Frachter eine Hafenstaatskontrolle durchgeführt. Neben den unzureichenden nautischen Unterlagen wurden verschiedene andere technische Mängel und Unzulänglichkeiten beanstandet. Das Seeamt entschied, dass der Unfall in erster Linie auf die Unmöglichkeit, eine sorgfältige Reiseplanung und Navigation durchzuführen (fehlende nautische Unterlagen), zurückzuführen sei. Das (geplottete) Hilfsmaterial, mit dem man die Navigation versucht habe, sei völlig unzureichend gewesen. Der Kapitän habe gravierend gegen SOLAS V, Regel 20 verstossen, wonach alle Schiffe angemessene und auf dem neuesten Stand befindliche nautische Unterlagen mitzuführen haben. Die Reederei wurde gerügt, "dass es keinesfalls der Sorgfaltspflicht ... entspricht, Seekartenausschnitte an Bord zu faxen und danach navigieren zu lassen...". Wegen auftretender Verzerrungen seien die Risiken bei einer Verwendung solchen "Kartenmaterials" unübersehbar. Ausserdem habe der Kapitän (weiter) fehlerhaft gehandelt, als er in einem für ihn erkennbar schwierigen Seegebiet (Fahrwasserbereich, ringsherum zahlreiche Inseln) die Brücke verliess. Mit Blick auf die langjährige berufliche Laufbahn des Kapitäns und seine bisherige "Unbescholtenheit" hat das Seeamt von einem Patententzug abgesehen. Seeamt Emden, Az. DI 79/01 E vom 22. Januar 2002 (Originalzitate aus der Entscheidung in "")
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Gruss, Helmut DGzRS - Fördermitglied werden! |
#2
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Der arme Kapitän!!!
Aber wieso ist der "ca" 58 Jahre alt, weiß das Seeamt nicht mal wie alt der ist? Da kommt das Dilemma in der heutigen Schifffahrt mal wieder voll zum Tragen - wäre der Kapitän auf eigene Faust durch den NOK gefahren und hätte Karten besorgt, hätte es für ihn Ärger mit dem Charterer und der Reederei gegeben, es wären zusätzliche Kosten entstanden ( meistens ist die Kanalpassage teurer als der Weg rund Skagen wegen der Kanalgebühren) und er hätte eine Befehlsverweigerung am Hals gehabt. Nun hat er es drauf ankommen lassen und verloren und mußte vors Seeamt. Irgendwie ist das genau wie mit den LKW-Fahrern an Land, entweder sie bauen Mist und behalten ihren Job oder sie lassen es drauf ankommen und können ja Glück haben......... Meine Freunde, die noch aktiv fahren, erzählen oft von solchen Sachen..... Anneke |
#3
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In der Seeamtsentscheidung ist nur das Geburtsjahr angegeben.
Ja, was Du über den Kostendruck schreibst, stimmt sicherlich! Dieser Fall hat 'ne ganze Menge interessanter Details...
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Gruss, Helmut DGzRS - Fördermitglied werden! |
#4
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Ich kann mir vorstellen,daß die Kapitäne ähnlich wie die LKW Fahrer auch nur das ende der Kette sind. Sie haben auszuführen was die Spedition verlangt oder sie können gehen.
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www.Worldoffshore.de Bourbon and Coke and Big Block Boats BOAT=Blow out another thousand |
#5
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Die ganze Schilderung klingt irgend wie gar nicht nach bedauerlichem Einzelfall. Ich könnte mir gut vorstellen das es sich hierbei um ein ganz gewöhnlichen Verfahrensweg handelt der nun einmal schief gelaufen ist. Der enorme Kostendruck und die vielfach dünne Finanzausstattung der Schiffe läßt vermuten, das bis auf einige Ausnahmen das Kartenmaterial sicher nicht auf dem geforderten Niveau ist.
Das wäre ein echtes Betätigungsfeld für die Entenpolizei, die aber leider völlig ausgelastet sind mit den verbrecherischen Motorkegelignoranten.
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MfG Eastsailor ** Motorkegel for president ** |
#6
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Den Ausführungen kann ich im Prinzip zustimmen. Mein Vater (Kapt. A6, alle Patente weltweiter Tankerfahrt) berichtet noch von ganz anderen Entscheidungen der Charterer (meist gleich Befrachter), welche seinen weltweit gleichen gesetzlichen Pflichten widersprechen.
Ganz besonders trifft dies den Nautikern der "Fremdflaggen", die sich nicht auf ordentliche Gerichte stützen können, wenn sie eine unbedingte "Befehlsverweigerung" vornehmen würden. Der Mann fliegt einfach im nächsten Hafen raus und darf sich ohne Kündigungsschutz einen neuen Job suchen. Das ist die Gegenseite. Trotzdem gibt es bei dem oben beschriebenen Fall Merkwürdigkeiten: Er hätte sich konnte Kartenmaterial besorgen können! Jedes Berufsschiff hat grobe Übersegler an Bord, die eine ausreichende Information bis zum dänischen Sund garantiert. Da er zwingend Helsingör/Helsingsund durch musste, hätte er den dortigen "flying pilot service" mit der mobilen Übergabe des Materials beauftragen können. Dies steht im "Nautical Allmanach" - kostet aber natürlich ein bischen. Ich habe hierzu meinen Vater befragt: Trotz allen Termin- und Kostendrucks meint er, würde eigentlich kein Kapitän eine Route in so kleinen Gewässern, mit derart unsicheren Tiefen ohne ausreichendes Kartenmaterial machen. Der Kapitän hat ja auch ein Druckmittel: Er kann dem Charter klarmachen, dass die gesetzliche Lage eine Kartenübergabe erfordert. Diese MUSS der Charterer organisieren. Wenn nicht, kann der Kaptität einen sinnvollen Hafen anlaufen und dort Karten kaufen. Diese Kosten übersteigen jede etwaige Einsparung. Ich war selbst längere Zeit in einer Reederei beschäftigt und habe dort gelernt, welche berechtigte Konsequenz die 120 Kapitäne (ausländische Flagge!) dort an den Tag legten, welcher auch immer Folge geleistet wurde. Insofern halte ich die - sehr milde - Verurteilung des Kapitäns für berechtigt. Gruß Ray |
#7
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Zitat:
Das Seeamt stellt dazu wörtlich fest: "Insgesamt gesehen liessen die unfallursächlichen Fehlverhaltensweisen des beteiligten Kapitäns einen gravierenden Mangel an ein von einem Kapitän zu erwartendes Verantwortungsbewusstsein erkennen..." (BOSeeAE 2/02, S.74)
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