mit der Volvo 60 vor Australien
bevor die MoBo - Fraktion vollständig zu Seglern mutiert, sollte sie sich das erstmal durchlesen
aus Schiegel online
Zitat:
Rennziege vorm Riff
Sie ist turboschnell, schnittig und höllisch ungemütlich: Die "Seriously 10" ist eine Volvo 60 - und damit der Ferrari unter den Rennbooten. SPIEGEL-Autor und Segelanfänger Andreas Lorenz poliert seine Fähigkeiten als "Grinder" von Hamilton Island bis Sydney.
Friedhofswache zwischen Mitternacht und 3 Uhr morgens. Eine heftige Böe presst den gewaltigen Spinnaker ins Meer. Plötzlich habe ich das Gefühl, über dem Wasser zu stehen, so stark legt sich das Boot auf die Seite. Mit den Füßen suche ich verzweifelt nach Halt. Meine Hände umklammern die Reling, die sich nicht mehr neben, sondern über mir befindet. Steuermann Bill hat eine Sekunde zu spät reagiert. Das Segel reißt vom Haken. Blitzschnell springen alle Mann an Deck, Rufe erschallen. Wir zerren das kaputte Segel aus dem Wasser.
Die sternenklare Nacht ist meine dritte auf der "Seriously 10". Für diesen Segelurlaub habe ich auf keinem gewöhnlichen Boot angeheuert, sondern auf einer Volvo 60 - dem Ferrari unter den Rennbooten. Sie kann 30 Knoten (rund 55 km/h) schnell werden.
Boote vom Typ Volvo 60 rasen alle vier Jahre auf dem "Volvo Ozean-Rennen" um die Welt, zuletzt siegte die deutsche "Illbruck". Knapp 20 Meter lang sind sie, die Masten 29 Meter hoch. Die Segel sind aus teuren Kunstfasern gewebt. Damit das Boot besser im Wasser liegt, werden bei jedem Manöver rund drei Tonnen Wasser in Tanks von der einen Seite zur anderen gepumpt.
Die "Seriously 10" - Eigentümer sind australische TV-Größen - hat bereits mehrere Regatten gewonnen. Nach dem jüngsten Rennen vor Hamilton-Island im Norden Australiens soll sie nun 1100 Seemeilen in ihren Heimathafen Sydney zurückgesegelt werden.
Smutje neben vielen Captain Hornblowers
Die meisten aus der Regattabesatzung haben nach fünf Tagen Wettbewerb abgemustert. Stattdessen sind jetzt sogenannte Lieferjungs und Liefermädchen an Bord - in diesem Fall eine Mischung aus Profis und Laien, die sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollen, einmal im Leben auf solch einer "Rennziege" zu segeln. Manche, wie ich, bezahlen dafür auch noch.
So stechen zwölf Segler, darunter zwei Frauen, unter dem Kommando der zwei Profi-Skipper James und Goldie an einem Sonntagnachmittag von der Insel Hamilton in See. Als Amateure dabei sind Geschäftsleute, ein ehemaliger Seemann der britischen Marine, ein Rechtsanwalt, ein Computerspezialist, ein TV-Produzent und ich.
Die meisten haben schon etliche Seemeilen auf dem Buckel, sind gar das alljährliche schwere Rennen von Sydney nach Hobart auf Tasmanien mitgesegelt. Mit meinen paar Meilen auf Alster, Masurischen Seen und Ostsee wirke ich wie der Smutje neben vielen Captain Hornblowers.
Meine Fähigkeiten werden rasch erkannt: Ich werde "Grinder". Bei Wendemanövern muss ich mit einem Mitsegler wie verrückt an einer Kurbel drehen, um das Vorsegel so schnell wie möglich von der einen Seite zur anderen zu ziehen - auf dem ersten Blick eine ziemlich primitive Angelegenheit. Nur: Wenn das Boot heftig kränkt, lässt sich schwer Halt finden. Kurbeln in Schräglage ist ein Kunststück.
Reihern auf Hochseeregatten
Lange Zeiten des Nichtstuns wechseln sich ab mit kurzen Perioden hektischer Kurbelei. Wir segeln rund um die Uhr nach schwierigem Start: Schon am ersten Abend ist zu viel Wasser in die Kajüte geschwappt. Die Stelle, an der die Takelage im Rumpf festgeschraubt ist, erweist sich als undicht. Nachts um eins legen wir im Hafen von Mackay zur Reparatur an.
Zugegeben: Ich bin dankbar für das Malheur. Die ersten Stunden auf hoher See nehmen mich böse mit. Ich übergebe meinen Mageninhalt dem Meer und halte die Entscheidung, meinen Urlaub auf einem Segelboot zu verbringen, für groben Unfug.
"Das ist normal", tröstet Bill, der Chef meiner Wache, nach einem Blick auf mein grünes Gesicht. "Selbst erfahrene Segler werden immer wieder seekrank. Was denkst du, was auf Hochseeregatten gereihert wird." Zum Glück beruhigen sich Magen und Gleichgewichtsgefühl - und ich gewöhne mich an die Bordroutine. Nachts lautet die Regel: drei Stunden an Deck, drei Stunden Ruhe. Am Tage dauert die Schicht vier Stunden.
Eiserne Vorschrift: Zwischen 18 Uhr abends und 6 Uhr morgens muss jeder eine Rettungsweste tragen und sich an Deck festhaken. Nachts über Bord zu gehen ist lebensgefährlich, obwohl jeder ein Blitzlicht und ein Ortungsgerät in der Tasche trägt, damit man eine Chance hat, entdeckt zu werden.
"Tempo ist alles"
Die ersten zwei Tage segelt die "Seriously 10" meist am Wind. Das bedeutet: Es bläst mit rund 20 Knoten (Windstärke: fünf bis sechs) fast von vorn, das Boot kränkt stark. Der Bug knallt wie ein Brett auf das Wasser. Wir kauern nebeneinander an Deck, wechseln nur ein paar Worte, und ich fühle mich wie in einer kalten Badewanne.
"Tempo ist alles" lautet die Philosophie der Skipper einer Volvo 60. Das heißt: Lieber vom Kurs abweichen, dafür aber schneller vorankommen. Die Skipper hören regelmäßig den Wetterbericht, prüfen Wolken und Strömung. Computer unter und auf Deck zeigen den Kurs an und rechnen aus, wie weit wir von der Ideallinie entfernt sind.
Wir passieren das Great-Barrier-Riff auf der Seeseite. In der Höhe von Fraser Island wechseln wir den Kurs, der Wind bläst nun von der Seite, und die "Volvo 60" liegt ruhiger im Wasser. Sie wird immer schneller, bis zu 16 Knoten (fast 30 km/h) schafft sie. In der Koje fühle ich mich zuweilen wie im ICE von Hamburg nach Frankfurt - so schnell scheint die "Seriously 10" durch die See zu pflügen.
Jeder darf ans Ruder, und ich versuche ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das Boot auf Wind und Wellen reagiert. "Lass sie nicht hin und her schwingen", mahnt Bill. "Das Boot ist wie eine widerspenstige Frau. Du musst schon vorher ahnen, was sie tun wird."
Ich starre gebannt auf Sterne, Wolken oder auf die Instrumente am Mast, um halbwegs den Kurs zu halten. Orange Digitalziffern zeigen Geschwindigkeit, Windstärke, Kurs und den Winkel des Windeinfalls an. Zwischen 205 und 220 Grad muss das Schiff bleiben. Delphine springen fröhlich um das Schiff.
Damit das Boot nicht zu schwer wird, fehlt in der Kajüte jede Annehmlichkeit. Die Kojen an den Seitenwänden sind eng, jeder sucht sich eine, die gerade frei ist. Falls ich keinen Platz finde, verkrieche ich mich nach Achtern: Dort ist die Luft besser, und auf den Säcken mit den Ersatzsegeln lässt es sich einigermaßen ruhen.
Artistik auf dem Klo
Nachts ist es unter Deck zappenduster. Hygiene an Bord ist so gut wie nicht vorhanden. Aus den Wasserhähnen (Frischwasser, Seewasser) in der winzigen Pantry fließt trübe Brühe - gerade genug zum Zähneputzen.
Im Bug befindet sich das Klo, das jeder so lange wie möglich zu meiden sucht. Denn in starker Schräglage das zu tun, was man auf einer Toilette zu tun pflegt, braucht artistische Fähigkeiten. Und technische: Wer die Handpumpe nicht richtig bedient, riskiert Unglücke, deren Beschreibung sich an dieser Stelle verbietet, die aber auf Deck immer wieder Stoff für schaurige Erzählungen liefern. Abends gelingt es, auf dem winzigen Herd Eintopf oder Fertignudeln zu kochen. Zwischendurch gibt es Snacks und pappige Sandwichs.
Kurz vor Sydney herrscht plötzlich Flaute. Die Skipper entscheiden, den Motor anzuwerfen. Enttäuscht werfe ich mich in eine Koje - ich wäre zu gerne unter vollen Segeln in die Bucht von Sydney gefahren. Ich wache auf, als der Motor erstirbt: Es hat aufgefrischt.
Als wir um Mitternacht an Deck klettern, hören wir die Mahnung unserer Kollegen: "Zieht euch warm an, es ist scheißkalt hier draußen." Längst haben wir die tropische Region verlassen, im Süden Australiens herrscht im September noch Winter. Die Temperatur sinkt nachts unter 15 Grad Celsius, eisiges Wasser prasselt auf uns herab, und mir fällt der Spruch ein: "Segeln ist wie angezogen unter einer kalten Dusche stehen und Geldscheine zerreißen."
Wie wechseln noch einmal das Vorsegel, das bringt einen Knoten mehr Geschwindigkeit, meint der Skipper. Am Samstagmittag, fünf Tage nach unserem Aufbruch, segeln wir langsam in die Bucht von Sydney ein, erblicken Skyline und die berühmte Brücke. Ich fühle mich wie ein Seebär - zumal der Skipper zum Schluss lobt: "Good helming", was so viel bedeutet wie: "Nicht zu weit vom Kurs abgekommen".
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Quelle: http://www.spiegel.de/reise/fernweh/...378009,00.html
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