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Alt 21.02.2007, 18:00
Benutzerbild von Ricardo
Ricardo Ricardo ist offline
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Standard Aireymouse

Deines Vaters Augen sind wieder blau

Meine Mutter ist nach ihrer Operation am grauen Star wieder zu Hause. Jahrelang hat sie sich von Düsternis umschlossen gefühlt. Die Farben versetzen sie in Erstaunen.
»Deines Vaters Augen sind wieder blau.«
Mein Vater hat die schönsten blauen Augen, die ich je bei einem Mann gesehen habe. Ich sage das nicht, weil er mein Vater ist. Es sind die Augen eines Seemanns, ruhig und fest. Auf den Geleitzügen nach Malta suchten sie die Meeresoberfläche nach Minen ab oder den Horizont nach einem feindlichen Kriegsschiff. Es sind die Augen eines Mannes, der nie gewußt hat, was Unehrlichkeit bedeutet. Sie haben ihn nie in Versuchung geführt, etwas Böses oder Schäbiges zu tun.
Die Augen meiner Mutter sind braun und lebhaft und lassen auf südländische Vorfahren schließen.
Als Margharita, meine Mutter, im Krankenhaus lag, fand er ein Foto, von dem ich befürchtet hatte, es sei verlorengegangen. Er hatte es 1940 in Hove machen lassen, bevor sein Schiff auslief. Auf dem Foto sind die klaren blauen
Augen zu sehen, die gar nicht anders sein können als blau, wie sie unter dem Lacklederschirm seiner Marineoffiziers¬mütze unverwandt in die Kamera blicken. Meine Mutter hatte es auf ihrem Nachttisch stehen. Ich küßte es immer, bevor ich zu Bett ging. Meine früheste Erinnerung an ihn fällt auf meinen dritten Geburtstag, den 15. Mai 1945. Er machte mit uns einen Fahrradausflug in die Nähe von Flamborough Head, der grauen Landspitze Yorkshires, die Rimbaud von einer Brigg aus gesehen haben mag und in seinem Prosagedicht Promontoire beschrieb.

Mein Vater befestigte für mich einen provisorischen Sattel an der Querstange, mit Fußstützen aus purpurroten Stromkabeln. Ich zeigte auf ein zerquetschtes braunes Etwas auf der Straße.
»Was ist das, Daddy?«
»Ich weiß es nicht.«
Er wollte nicht, daß ich etwas Totes sah.
»Du, ich glaube, es ist ein Stück von einem Igel.«
Mein Vater hatte in der Schachtel mit alten Fotos nicht das von sich selbst gesucht, sondern das von der Aireymouse, dem Boot seines Vaters. In den zwanziger und dreißiger Jahren besaß mein Großvater, ein Rechtsanwalt in Birmingham, ein Schiff von legendärer Schönheit. Es war ein Zweimaster aus Teakholz mit einem Klipperbug, 1898 in Fowey, Cornwall, gebaut; einst war es als Kutter ausgerüstet gewesen. Eine aireymouse ist eine Fledermaus, und unter dem Bugspriet befand sich die Galionsfigur, eine Fledermaus mit gespreizten Flügeln. Die Fledermaus gab es zu Zeiten meines Vaters nicht mehr. Die Aireymouse hatte mit Katechu gefärbte braune Segel, eine Schiffsglocke aus Messing und einen goldenen Streifen vom Bug bis zum Heck.
Mein Großvater starb 1955, und die Aireymouse mußte verkauft werden. Das Boot bedurfte teurer Reparaturen an seinen Stützen. Weder mein Vater noch seine Brüder und seine Schwester konnten sich das leisten. Sie verkauften es für zweihundert Pfund. Nur für meinen Vater bedeutete es den Verlust einer Geliebten.
Er besaß andere Boote — die Nocteluca, die Dozmaree, die Nereid, die Sunquest —, doch er teilte sie mit anderen, und keines kam dem Schiff seiner Träume gleich.
Ich glaube nicht, daß er es je übers Herz brachte, herauszufinden, was aus der Aireymouse geworden war. Ihm kamen Gerüchte zu Ohren. In Guernsey war ein Auto übet den Kai hinausgefahren und auf ihrem Deck gelandet — ohne allzu großen Schaden anzurichten. Ein andermal hieß es, sie verrotte als Hausboot in einer schlickigen Bucht im Westen des Landes. Oder sie sei im Krieg von einer Brandbombe getroffen worden. Er fand sich schließlich damit ab, daß sie nicht mehr da war, wenn er es auch nie so recht glaubte. Während unserer Segelferien waren wir alle fest davon überzeugt, daß an irgendeinem goldenen Abend, vor der Küste von Ushant oder im Kanal von Alder-ney, am Horizont zwei Segel auftauchen würden und das himmlische Schiff in unser Blickfeld triebe. Mein Vater würde sein Fernglas an die Augen heben und die Worte aussprechen, die auszusprechen er sich sehnlichst wünschte: »Es ist dieAireymouse.«
Er resignierte. Meine Eltern machten keine Seereisen mehr. Sie kauften sich einen Campingwagen und fuhren durch ganz Europa. Mein Vater führte ein Seemannslogbuch über ihre Reisen und studierte Straßenkarten, als wären es Seekarten.
Er hatte auch davon geträumt, einmal vor den Passat¬winden nach Westindien zu segeln. Er fand nie die Zeit dafür. Zu viele Menschen brauchten seinen Rechtsbeistand. Abends kam er meist erschöpft nach Hause, nachdem er sich mit den Problemen staatlicher Krankenhäuser herumgeschlagen hatte. Als er in den Ruhestand getreten war, be¬kam er eine Hüftarthrose, und ich fürchtete, es würde mit ihm bergab gehen. Kaum hatte er die Operation hinter sich, war er wieder jung.
Vor vier Jahren nahm mein Bruder ihn auf die Passatwindreise mit. Das Boot war eine moderne Jacht und sollte nach Antigua überführt werden. Doch die Besitzer hatten es mit teurem Plunder topplastig gemacht. Bei einer mitlaufenden See neigte es sich um fünfzig Grad, und sie mu߬ten zu den Kapverdischen Inseln zurückkehren. Mein Vater sah nach diesem Abenteuer jünger aus denn je, aber es war eine Enttäuschung.
Drei Tage bevor Margharita ins Krankenhaus kam, traf es sich, daß er mit einem Mann telefonierte, der sagte: »Ich habe lange nach Ihnen gesucht.« War Charles Chatwin mit den Vorkriegsbesitzern der Aireymouse verwandt?
»Ja«, sagte mein Vater. »Es war unser Boot.«
»Ich habe es gekauft«, sagte der Mann.
Der Mann hatte es flußaufwärts am Dart River gefunden. Er verliebte sich in das Boot und kaufte es. Er brachte es zu einer Werft nach Totnes. Das Deck war dahin. Viele der Eichenspanten waren dahin. Doch der Teakholzrumpf war in einem ausgezeichneten Zustand.
»Ich werde es wieder instand setzen«, sagte der Mann. Würde er auf Charles' Hilfe rechnen können?
Charles wird dieses Jahr achtzig.
Beten wir, daß er auf der Aireymouse segeln wird.
1988



http://www.bruce-chatwin.de/chatwin_...php?werknr=798
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"Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet." - Hans Magnus Enzensberger.
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  #2  
Alt 21.02.2007, 18:29
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Ein schöner Text - aus einem Buch, das du gerade liest?

Gruß
Gerd
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  #3  
Alt 21.02.2007, 19:04
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Ja. Es ist wohl das letzte Buch von Bruce Chatwin das zu seinen Lebzeiten entstanden ist.
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