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Törnberichte Wie der Name schon sagt. Keine Antwortmöglichkeit! |
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Mildenberg - Mirow und zurück 17.-21.4.17
Oberhavel und Müritz-Havel-Wasserstraße:Mildenberg – Mirow 17.-21.4.2017
Mein Interesse für die Seefahrt wurde bereits früh geweckt: Die Sommerurlaube verbrachte meine Familie über viele Jahre traditionell in Cuxhaven, in Sichtweite der großen Frachter, welche die Elbmündung auf ihrem Weg passieren mussten und nicht selten im zwei-Minuten-Takt an der Kugelbake oder dem Radarturm nahe der Anlegestelle „AlteLiebe“ vorbeifuhren. Ein Höhepunkt war, als ich als Sechzehnjähriger einmal mit meinem Vater in diesen Radarturm hinein durfte, von dem aus die gesamte Elbmündung überwacht wurde: In einem abgedunkelten Raum viele Bildschirme mit hellgrünen Flecken… Jahrzehnte sind seither ins Land gegangen, und meine Frau – mit Vorfahren aus dem Ostseeraum – teilt mein Faible für Gewässer und war auch maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass wir uns vor fünf Jahren einen Vierer-Kanadier zugelegt und mit diesem auch schon zahlreiche Flüsse und Seen Branden- und Mecklenburgs befahren haben. Irgendwann träumte sie von einer Hausboottour daselbst, was mich veranlasste, die Bootsführerscheine und auch die Funkscheine zu machen, da mir eine dreistündige Einweisung einfach zu windig erschien. Vergangenes Jahr endete dann unser erster Versuch mit einer dieser möblierten Garagen auf Kufen in einer Tragödie: Beim Wenden gerieten wir in der Unterhavel abseits des Fahrwassers und dort auf einen Stein, der bei einem sanften Stoß mit dem Bugstrahlruder den rechten Schwimmer aufriss. Durch ein handtellergroßes Loch strömten rund zwei Liter pro Sekunde in den Schwimmer, und nur durch tatkräftige Unterstützung der buchstäblich „schöpferischen Kräfte“ unserer Kinder gelang es uns damals, die rund eine Viertelstunde entfernte Charterbasis zu erreichen und das Boot dort ans Ufer zu rammen. Außer dem Schaden von 1500 € (grobe Fahrlässigkeit) blieb uns damals eine regelrechte Traumatisierung, die es nun zu überwinden galt. Als erstes nahm ich mich vor, meiner Frau klarzumachen, dass ein Schiff in erster Linie ein Schiff und kein schwimmendes Wohnzimmer ist. Natürlich schlafe auch ich gerne in Betten, die breit genug sind, aber ein so dermaßen windanfälliges, schwer zu steuerndes und schwach motorisiertes Gefährt wie dieses Teil wollte ich nicht noch einmal haben. Außerdem war es nur mit einem Außensteuerstand ausgerüstet und am ersten Tag durch niedrige Temperaturen und Dauerregen bei Seitenwind recht ungemütlich zu fahren gewesen. Nach monatelangen Recherchen entschieden wir uns dann für einen soliden Stahlverdränger: die Pedro Donky 37, die wir über die Marina Alter Hafen in Mildenberg dann auch für den genannten Zeitraum gechartert haben. Am Anreisetag bekam ich dann doch etwas Angst vor meiner eigenen Courage. Konnte ich mit gerade einmal gut hundert gefahrenen Kilometern gleich ein zehn-Tonnen-Boot steuern? Anlegen, ablegen, in Schleusen und Boxen manövrieren? Ich sah vor meinem inneren Auge die Kaution schon sich in Luft auflösen, aber die auf Anhieb erstmal etwas gewöhnungsbedürftige lockere und direkte Art des Hafenpersonals ohne jeden feinfühlig-rhetorischen Ballast halfen schnell, Ängste zu überwinden und mir in einer Probefahrt im Hafenbecken ein erstes Gefühl für das Boot zu vermitteln. Nachdem wir unser Gepäck und unseren Proviant verstaut hatten, konnten wir starten. Wir, das sind Sohn (14, sehr vergeistigt und etwas tollpatschig), Tochter (15, zupackende Powerfrau), Ehefrau (50 und Genussmensch mit Smutje-Funktion) und ich (46, auch eher der feinsinnige Kopftyp, allerdings mit handwerklicher Ader, aber alles andere als stressresistent). Es herrschte richtiges Aprilwetter bei Temperaturen knapp unter 10°C. Hätten wir unseren Törn doch zwei oder drei Wochen früher machen können, denn da hätte es zehn bis 15 Grad mehr gehabt! Ostermontag, 17.4. 16.50 Uhr. Zum ersten Mal starte ich den Sechszylinder ohne Aufsicht. Sanft setzt sich nach dem Lösen der Leinen das Boot in Bewegung. Unter den aufmerksamen Augen meiner Kinder auf der Steuerbordseite gelingt es mir, das Schiff ohne Einsatz des Bugstrahlruders (BSR) aus der Box in die Hafeneinfahrt zu manövrieren. Kurze Zeit später befinden wir uns auf der Havel Richtung Fürstenberg. Unser Ziel ist es, noch am selben Tag die Schleusen Schorfheide und Zaaren zu passieren und dann im Unterwasser der Schleuse Regow zu übernachten, da diese Schleuse wegen einer Havarie nur bis 16 Uhr betriebsbereit sein sollte. Das Schiff erwies sich als träge, aber sehr sensibel reagierender schwimmender Untersatz. Rasch hatte ich mich an das Fahrverhalten gewöhnt und so gelang es mir, die zahlreichen Flussbiegungen und auch Begegnungen ohne brenzlige Situationen zu meistern. Wunderbar lag die Havel in ihrem Bett, Schilf und Bäume leuchteten in der sich gelegentlich zeigenden Abendsonne, hinter jeder Biegung ein neues Panorama bietend. Nach gut eineinviertel Stunden Stunde nahm ich etwas Fahrt heraus, denn wir mussten beim Abzweig der Templiner Gewässer scharf nach links der Havel folgen, um dort gleich die erste Herausforderung zu bestehen: die erste Schleuse, die wir um 18.15 Uhr erreichten. Ich hatte mich im Netz anhand zahlreicher Bilder einigermaßen über die Schleusen auf unserer Tour informiert, aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Der Beginn der Wartestelle war mit zwei längsseits aneinander festgemachten Leichtern, Frachtkähnen ohne eigenen Antrieb, zugeparkt, weshalb das Anfahren der leicht gebogenen Wartestelle „in möglichst spitzem Winkel“ nicht möglich war. Beim Versuch anzulegen traute ich meiner Bootsbeherrschung noch zu wenig, was dazu führte, dass wir schließlich mit dem Heck zur Schleuse an der Wartestelle anlegten. Wenigstens waren wir alleine auf dem Wasser, sonst hätten wir von den Schaulustigen fast Geld nehmen können für die tölpelhafte Vorstellung. Als wir festgemacht hatten – Fender knapp über Wasserlinie! –, krabbelte die Tochter an Land, um den berühmten grünen Hebel zu ziehen. Ich hörte dann zwar ihr Rufen, verstand aber weder die Worte noch den Anlass. Kurz darauf stellte sich heraus, dass ihr eines unserer beiden Walkie-Talkies, die wir extra für die Verständigung zwischen „Kapitän“ und „Crew“ angeschafft hatten, zwischen Boot und Ufer ins Wasser gefallen war. Zwar gelang es ihr, das Teil vor dem Untergehen zu bewahren und herauszufischen, dennoch war ein klägliches Fiepen einige Stunden später das letzte Lebenszeichen des nicht allzu teuren, aber nagelneuen Gerätes. Merke also: Handfunkgeräte immer a) umhängen oder b) in Reißverschluss- bzw. zumindest Innentaschen verstauen (und den Reißverschluss natürlich zumachen). Gürtelclipse sind für diesen Zweck keine gute Idee. Wenige Minuten später konnten wir in die Kammer einfahren, abermals einen „U-Turn“ absolvierend. Die Kinder hatte ich auf beiden Seiten als Abstandswächter postiert, und so bugsierte ich die zehn Tonnen Stahl berührungsfrei in die Kammer, die gefühlt kaum breiter war als das Schiff, obwohl natürlich in Wahrheit noch genug Abstand zu den Schleusenwänden war. Dank mitgeführter Tampen (für Laien: kurze Seilstücke) konnten wir die Fender auf der Anlegeseite quer hängen, was verhinderte, dass diese in die Nischen der Spundwände rutschten. Natürlich verpasste ich den richtigen Moment aufzustoppen, sodass wir ziemlich weit vorn in der Schleusenkammer zu liegen kamen. Die Kinder waren mental bereits von mir auf die Manöver in der Schleuse vorbereitet worden, und so konnten wir auf der Backbordseite anlegen und die Leinen über die gelben Metallbügel legen, die oben aus der Schleusenwand ragten. Natürlich hatte ich das Schiff so dumm platziert, dass man von keiner Stelle aus an eine der beiden Säulen mit den Hebeln herankam, aber der Sohnemann krabbelte flink die niedrige Schleusenmauer hoch, lief die paar Meter und zog am grünen Hebel. Die Anzeigetafel signalisierte ein wohlwollendes „Weiterschleusung angenommen“. Die Untertore schlossen sich kurz darauf und das Wasser in der Kammer begann zu steigen. Aufgrund des geringen Hubs dieser Schleuse ging alles recht schnell, und auch das Halten des Schiffes mittels Vor- und Achterleine gelang den Kindern problemlos. Wenige Minuten später öffneten sich die Obertore, und nach dem Einholen der Leinen und einem sanften Schubs mit dem BSR konnten wir unter den wachsamen Augen der wieder beidseits postierten Kinder die Kammer verlassen. Geschafft! Bis jetzt konnten wir es im Schiff ganz gut aushalten, aber nun wurde es allmählich doch zu kalt. Leider hatte das Boot keine Gas-, sondern eine Dieselheizung (5 kw), was sich am Ende der Tour als ziemlich teures Vergnügen herausstellen sollte. Gemäß der Anweisung bei der Einweisung drehte ich erst einmal eine Viertelstunde ganz auf, um die Regelung dann auf knapp die Hälfte der Leistung herunterzudrehen, wo sie auch praktisch den gesamten Rest der Tour verbleiben sollte. Um 19 Uhr erreichten wir die Schleuse Zaaren. Hier konnten wir nun problemlos auf der Steuerbordseite anlegen, ansonsten lief alles genauso wie beim ersten Mal, nur dass die Strömung beim Füllen der Kammer deutlich stärker war und es durchaus eine gewisse Mühe bereitete, das Schiff in Position zu halten, zumal ich Esel natürlich auch hier wieder zu weit in die Kammer eingefahren war und wir das einströmende Wasser direkt vor den Bug bekamen. Um 19.45 Uhr, eine gute halbe Stunde vor Sonnenuntergang, erreichten wir dann die Schleuse Regow. Auch hier legten wir an der Wartestelle auf der Steuerbordseite an. Hier mussten wir aufpassen, denn zuerst kommt der Biwakplatz, der nur für Kanuten gedacht ist, dann die Verlängerung der Wartestelle mit Stahlpollern und Hartgummipolstern und erst danach die eigentliche Wartestelle, die als niedrige hölzerne Uferbefestigung ausgeführt ist. Auch hier empfiehlt es sich, die Fender knapp über die Wasserlinie zu hängen, damit das Schiff nicht direkt ans Ufer stößt. Eigentlich hieß es nun hier zu übernachten, aber an der Schleuse selbst deutete nichts auf eingeschränkte Betriebszeiten hin, und ich dachte, die Schleuse würde schon Bescheid sagen, wenn sie nicht will. Also machte Tochterfrau wieder einen kurzen Landgang, zog am grünen Hebel – doch was war das? „Anforderung Berufsschifffahrt“ zeigte die Tafel. Um Himmels willen, was hatten wir denn nun angerichtet? Hoffentlich gab das keinen Ärger! Die Tore öffneten sich mit gespielter Unschuld und wir fuhren im zunehmend dahinsiechenden Licht der Abenddämmerung ein. Dasselbe Spielchen: Grüner Hebel und dann… Halt, da kommt noch ein Boot hinter uns! „Wolle mer’s roilosse?“, hätte man jetzt im Mainzer Karneval gefragt. Wir wollten höflich sein und zogen den roten Hebel, um die Weiterschleusung anzuhalten. Daraufhin piepste es aus den Säulen mit den grünen und roten Stangen heftig „SOS“ – dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. Da wurde mir schlagartig bewusst, dass das ja ein Gefahrensignal war und womöglich der zweite Kapitalfehler an dieser Schleuse, in der Schleusenzentrale womöglich jetzt gar jemand ziemlich hektisch oder ungehalten werden würde. Doch es kam keine Durchsage – womit auch, es gibt ja keine Lautsprecher an den Schleusen dort –, und es wuchsen auch keine Wasserschutzpolizisten aus der Schleusenmauer. Also konnte unser Folgeboot noch einfahren und wir schleusten nach erneuter Betätigung des grünen Hebels gemeinsam. Dann ging es durch das abendliche Grau weiter bis zur Schleuse Bredereiche, wo wir nun gegen 20.30 Uhr endgültig im Unterwasser am der Schleusenkammer abgewandten Ende der Wartestelle an Steuerbord festmachten, während die „Renate“ – so hieß das nachfolgende Boot – noch weiterfuhr. Wir jedoch wollten uns sowohl die fast schon nächtliche Schleusung als auch die Liegegebühren in Bredereiche sparen, zumal wir weder Landstrom noch sonstige Infrastruktur benötigten, und freuten uns auf eine ruhige Nacht. Allerdings hatte unser Schiff gegenüber dem von uns im Jahr zuvor gefahrenen „Garagenboot“ den Nachteil, dass die Betten recht schmal und die Liegeflächen vergleichsweise stramm waren, sodass meine Frau und ich in der Bugkajüte beim Umdrehen immer wieder aneinander stießen. Zudem blieb es trotz Heizung in den Kajüten recht kühl. Dies machte diese erste Nacht nicht ganz so erholsam wie erhofft. Dienstag, 18.4. Das Wetter hatte sich kaum geändert, nachts hatte es nahe null Grad. An den Aluminiumrahmen der Bullaugenfenster in Bad und Kajüten bildete sich Schwitzwasser, das heruntertropfte und auf den Ablageflächen in der Bugkajüte kleine Pfützen bildete, die ich morgens mit einem kleinen Handtuch aufwischte, um meine dort platzierten Sachen vor der Nässe zu retten. Kurz nach sieben Uhr tuckerte bereits ein Arbeitsschiff des Wasser- und Schiffahrtsamtes Eberswalde durch die Schleuse. Danach jedoch sanken wir noch einmal in einen Tiefschlaf, sodass wir mit der Familie zwischen halb neun und halb zehn frühstücken konnten. Der Wind hatte etwas zugenommen, die Prognose rechnete für den späten Nachmittag, an dem wir das Städtchen Mirow zu erreichen hofften, mit Windstärke vier (im Mittel) bis sechs (in Böen). Der von mir auserkorene Ankerplatz in der Bucht vor der Kanustation Mirow, dem Nordwestzipfel des Sees, war mir damit zu riskant, da dieser nach Nordost ungeschützt war und der Wind ausgerechnet aus dieser Richtung kommen sollte. Da wir keine Lust hatten, in Schichten Ankerwache zu halten, beschloss ich, in der Marina an der Schlossinsel nach einem Liegeplatz für die Nacht zu fragen, zumal es mir sinnvoller erschien, einmal zwanzig Euro zu investieren als eine Nacht in Furcht vor einem ausbrechenden Anker zu verbringen. Doch noch hatten wir den ganzen Tag vor uns. Unsere Tochter zog gegen 9.30 Uhr wieder am berühmten grünen Hebel und nach einigen Minuten konnten wir in die Schleusenkammer einfahren. Der Vorteil an der Schleuse Bredereiche ist, dass sie im Gegensatz zu den bisher von uns durchfahrenen Schleusen keine Spund-, sondern glatte Betonwände hat, was uns das Abfendern des Schiffes deutlich erleichterte. Als nachteilig erwies sich der recht große Abstand zwischen den Haltestangen, was dazu führte, dass wir nur eine Leine um eine Stange legen konnten und uns am anderen Ende an den Sprossen der Leiter festhielten bzw. uns auf der gegenüberliegenden Seite bei Drehung des Schiffes von der Wand frei hielten. Trotz des großen Hubes der Schleuse ging es wie im Fahrstuhl und ohne Probleme mit der Strömung recht schnell aufwärts, sodass wir schon um 9.54 Uhr ausfahren konnten. Vierzig Minuten später erreichten wir den Stolpsee. Wir umfuhren die Schilfinsel und hielten auf die Ausfahrt im Westen zu. Der Wind hatte auf Stärke vier zugenommen, und so klatschten die Wellen hörbar gegen den Bug, was tagsüber ja noch Spaß macht. Eine Viertelstunde später lag der See hinter uns. Wir befanden uns nun in der Siggelhavel, jenem Wurmfortsatz des Flusses, der den Fürstenberger Schwedtsee mit dem Stolpsee verbindet. Urwüchsige Wälder säumten das Ufer, die Bäume zeigten zaghaft ihr erstes Grün an den Zweigen. Wann immer es der Sonne gelang, die Wolken zu durchbrechen, wurde es recht schnell relativ warm, und so verbrachte meine Familie einen Teil der Fahrt auf dem Dach des Schiffes, wobei sich besonders meine Frau als ausgesprochen widerstandsfähig gegen Wind und Wetter erwies. Diese Gemütlichkeit führte dazu, dass auch sie nach anfänglichem Hadern, insbesondere mit den Tücken des ungewohnten Gasherds, die Fahrt zu genießen begann. Wir zuckelten die letzten paar hundert Meter der Siggelhavel hinter einem verzweifelt zu fliehen scheinenden Freecamper her, passierten das technische Denkmal der Eisenbahnfähre am einstigen KZ Ravensbrück und legten schließlich vor dem Freecamper hinter einem bereits wartenden Boot vor der Schleuse Fürstenberg an. Es war 11.10 Uhr und es lief eine Gegenschleusung. Wir mussten einige Minuten warten, konnten dann aber einfahren, was trotz der 100°-Kurve in bewährter Manier recht gut gelang. Wir legten mit backbords quergehängten Fendern an der linken Schleusenspundwand an, was mit rechtsdrehender Schraube dank Radeffekt und BSR kein Problem war. Um 11.45 Uhr konnten wir dann auch diese Schleuse verlassen. Kurz danach, gegenüber der Wartestelle im Oberwasser, waren steuerbords Dalben am befestigten Ufer zu sehen. Im Vorbeifahren entzifferte ich ein Schild „Liegestelle für Sportboote“. Aha, dachte ich, gut zu wissen, denn an einfachen Liegestellen, z.B. für gemeinsame Essenspausen, schien es doch zu mangeln, jedenfalls waren in den Karten kaum welche verzeichnet. Punkt 12 Uhr mittags fuhren wir dann in die Steinhavel ein, einen wunderschönen, wildromantischen Abschnitt des Flusses. Sanft schmiegte sich das Gewässer an die bewaldeten und steil abfallenden Ufer. Ruhig, fast geheimnisvoll wand sich das mal silbrig, mal grünlich schimmernde Band des Flusses, bis hinter einer Biegung, einem verwunschenen Hexenhäuschen gleich, die Schleuse Steinhavelmühle auftauchte. Es lief bereits eine Bergschleusung, und vor uns wartete auch schon ein Boot. Hinter uns tastete sich ebenfalls wenige Minuten später ein Sportfahrzeug an die Wartestelle. Der Schleusenwärter schien seine Mittagspause bereits vorher genommen zu haben, denn die offizielle Betriebspause zwischen 12.00 und 12.30 Uhr fiel offensichtlich aus. Um 12.30 Uhr konnten dann wir mit dem Boot vor uns einfahren. Die Schleuse erwies sich dank senkrechter Betonwände als absolut unproblematisch, zumal von der starken Strömung, mit der unser Vorderboot zu kämpfen hatte, hinten bei uns fast nichts ankam. Während der Schleusung belehrte uns der Schleusenwärter darüber, dass in die Kammer drei Boote unserer Größe passen und wir bitte beim nächsten Mal dichter einfahren sollten. Wir versprachen zerknirscht unser Bestes und konnten die Schleuse dann um 12.47 Uhr verlassen. Weiter ging es durch das enge Tal und schließlich über den Ellbogensee mit dem Yachthafen Priepert, der etliche millionenschwere Yachten und ein abgesoffenes Hausboot zu beherbergen schien, in Richtung Strasen. Auf der Backbordseite zog kurz vor der Einfahrt in den Schleusenkanal die kleine Marina des Naturferiendorfes vorbei. Enttäuscht stellten wir fest, dass alle freien Plätze mit einem Schild „BELEGT“ versehen waren. Also schied diese Marina wohl für einen Verbleib auf dem Rückweg aus. Um 14.10 Uhr erreichten wir die Schleuse Strasen. Wieder mussten wir kurz den Rest einer Gegenschleusung abwarten, brauchten jedoch nicht festzumachen. Vielleicht hätten wir das auch gar nicht gedurft, weil die gesamte Dalbenreihe an der Wartestelle steuerbords mit einem rot-weißen Absperrband gesichert war. Oder bedeutete das nur ein Betretungsverbot des Ufers, weil dessen Befestigung erst vor kurzem erneuert worden zu sein schien? Gut, dass sich uns das Problem nicht stellte. Nach kurzem Herumdümpeln konnten wir in die Schleuse einfahren; auch diese erwies sich als beherrschbar, da sie glatte, senkrechte Ziegelwände und eine unproblematische Strömung besaß. Dasselbe konnte man von der Schleuse Canow behaupten, die wir um 15.05 Uhr erreichten. Da wir ohne Wartezeit direkt einfahren konnten und die Schleusung recht schnell ging, waren wir bereits fünf Minuten später wieder aus der Schleusenkammer draußen. Wichtig an dieser Schleuse ist jedoch, dass die Oberkante der Schleusenmauer bei Pegel Oberwasser nur rund dreißig Zentimeter über der Wasserlinie ist; es ist also dringend angeraten, die Fender knapp über der Wasseroberfläche enden zu lassen, um keine bösen Überraschungen zu erleben. Um 15.35 dann war die Schleuse Diemitz erreicht, die letzte von insgesamt neun Schleusen auf unserer Tour. Zunächst mussten wir wieder einmal eine Gegenschleusung abwarten, bevor wir um 15.50 Uhr dann einfahren konnten. Hier gab es auch wieder Spundwände, die Strömung jedoch war unproblematisch. Wenige Minuten später war der Pegelausgleich hergestellt und in der Erwartung, in wenigen Sekunden würden sich die Obertore öffnen, startete ich unseren 85 PS-Perkins-Diesel. Doch nichts geschah. Die beiden Schleusenwärter – dem Alter nach hätten es Vater und Sohn sein können – standen gemütlich auf den Stegen über den Obertoren und plauderten. Was war denn noch? Wollten sie noch ein Bestechungsgeld für das Öffnen der Tore? Die Minuten dehnten sich quälend. Schließlich gaben die beiden Flügel die Ausfahrt frei, und es war doch nur eine Viertelstunde seit der Einfahrt vergangen. Wir umfuhren die Untiefe an der Ostseite des Vilzsees vorschriftsgemäß zwischen grüner Fahrwassertonne und östlicher Kardinaltonne. Die Kleinseen fädelten sich nun wie an einer Perlenkette auf: mal etwas breiter, mal etwas schmaler, wie flüssiges Quecksilber. Mein Blick fiel auf die Instrumententafel. Der Fäkalientankanzeiger schwankte schon bedenklich zwischen ¾ und 4/4 Füllung, und das nach gerade mal einem Tag und bei 250 l Fassungsvermögen! Wir würden bald, eher sehr bald, irgendwo abpumpen lassen müssen. Ein Blick in die Gewässerkarte ließ mich schaudern, denn es kam dafür nur der Bootsservice Rick&Rick in Mirow nördlich des Strandrestaurants infrage. Das Schaudern kam daher, dass der Lageplan des Hafens laut Hafenführer offenbarte, dass das Erreichen der Absaugstation bei mäßigem bis starkem Nordnordostwind meine Manövrierfähigkeiten auf eine harte Probe stellen würde – ganz abgesehen von der Frage, ob die Wassertiefe für unsere 1,1 m Tiefgang überhaupt ausreichen würde. Doch noch war etwas Luft. Wir passierten die Mirower Schlossinsel steuerbords, tuckerten gemütlich in der Abendsonne am Strandrestaurant vorbei, drehten eine Runde in der kleinen Lanke, in der ich vormals zu ankern beabsichtigt hatte, und hielten wieder auf die Schlossinsel zu. Jetzt war es höchste Zeit, nach einem Liegeplatz zu fragen. Im Hafenführer fand sich eine Handynummer, die jedoch nur zu einer Mailbox führte. Die alternativ angewählte Festnetznummer brachte dann Erfolg. Ein sehr netter Mann mittleren Alters meldete sich. Ja, er habe noch freie Plätze, ich solle einfach anlegen, wo ich wolle. Das war doch mal eine Ansage. Gute hundert Meter von der Marina entfernt stand er dann auch schon, mit beiden Armen winkend. Er bedeutete mir, neben dem Bootshaus an dessen Südwestseite anzulegen, was sich angesichts des ziemlich strammen Nordostwindes als keine leichte Manövrieraufgabe erwies. Selbst der immer wieder beschworene Radeffekt führte zu allen möglichen, aber nie den erwünschten Verhaltensweisen des Bootes. Kontrolliert und souverän gestikulierend gelang es dem Hafenmeister, selbst so einen Manövrierdummie wie mich an den Steg zu bringen. Er fing die zugeworfene Achterleine, wand sie einmal um den Pfahl und gab sie meiner Tochter auf dem Boot zurück, während Sohnemann aufs Vorschiff kroch und ihm anschließend die Vorleine zuwarf. Um 17.40 Uhr lag das Boot, den Bug voraus, fest. Uff! Der Hafenmeister – ein total netter, uriger Kerl, immer zu einem harmlosen Späßchen aufgelegt – führte uns zu seinem Schuppen, wo er das Liegegeld von 19 € kassierte. Der Schuppen erwies sich als richtiger kleiner Supermarkt für allerlei Bootfahrbedarf: Andenken, Leinen, Karten, allerlei sonstiger Kram, der annähernd nützlich oder kitschig genannt werden konnte – irgendwie knuffig. Ob wir denn morgen frische Brötchen haben wollten? Wir (die Familie) sahen einander nur kurz an, dann begann er eifrig aufzuschreiben. Wir gingen nochmal kurz zurück zum Boot, um das Landstromkabel anzuschließen. Es reichte gerade eben an die blaue Säule am Ufer, die ausschließlich 50ct-Münzen fressen wollte, um als Gegenleistung jeweils eine Kilowattstunde Strom auszuspucken. Dann streunten wir noch einige Minuten durch den herrlichen Schlosspark, besichtigten die Liebesinsel und lenkten unsere Schritte schließlich in Richtung Stadtmitte, wobei „Stadt“ zwar juristisch korrekt, aber gemessen an den allgemeinen Vorstellungen von einer Stadt dann doch etwas übertrieben ist. Es gibt eine vielbefahrene Hauptstraße und ein paar Nebenstraßen, das war’s. Wir hatten beschlossen, zur Feier des Tages essen zu gehen. Die legendäre „Blaue Maus“ sollte unser Ziel sein, doch wie sich bald herausstellte, hatte sie ausgerechnet heute geschlossen. Wir gingen dann noch einige Meter weiter und speisten ebenfalls lecker im „Mecklenburger Hof“. Nach dem Essen wurde es schon richtig frisch draußen, aber ich trieb meine Familie noch ein paar hundert Meter weiter Richtung Osten, wo die Supermärkte waren – und ein Geldautomat, den ich in Erwartung weiterer Unkosten noch um einige Scheine erleichterte. Kurz noch beim Stadthafen vorbeigeschaut, dann machten wir es uns im Salon unseres Schiffes gemütlich. Die Nacht war etwas unruhig. Zwar kamen wir mit den schmalen Betten besser zurecht als zuvor, aber das Gegluckse und Geplätschere der an den Rumpf schlagenden Wellen war doch etwas ungewohnt. Irgendwann wirkte es aber doch einschläfernd und wir wachten am nächsten Morgen gegen neun Uhr auf. Schnell war ich in meine Klamotten gefahren, denn auf uns warteten schließlich frische Brötchen oben im Schuppen. Mittwoch, 19.4. Was niemand von uns bedacht hatte, war, dass es warmes Wasser nur bei Landstrom oder eingeschaltetem Motor gab. Die zwei Münzen, die uns mit ebensovielen Kilowattstunden Strom versorgen sollten, waren natürlich längst verbraucht, und so machte sich meine Frau ziemlich widerwillig auf den Weg in die Dusche der Marina, wo zwar das Wasser warm, die Räume aber elend kalt waren. Nachdem die Kontrollleuchte des 250 Liter fassenden Fäkalientanks ohnehin bereits Alarmstufe rot signalisierte, verzichteten wir auf die weitere Produktion jeglichen Abwassers und nutzten die Infrastruktur der Marina. Nach dem Frühstück ging es zunächst auf den Turm der unmittelbar neben der Marina liegenden Johanneskirche, der ab 11 Uhr geöffnet war. Hier bot sich uns neben kleineren Ausstellungen auf den unterschiedlichen Stockwerken eine grandiose Aussicht über den Mirower See und das Städtchen. (Hier gibt es auch eine Webcam: http://kirchemirow.dyndns.org:4330/c...uestimage.html). Wieder unten angekommen, wollten wir zunächst Frischwasser zapfen. Dazu mussten wir das Boot kurz umparken, was aber kein Problem war, weil die Wassertankstelle auf der anderen Seite des Bootshauses im Luv des Steges lag, ich also das Boot einfach nur achteraus kontrolliert auf den Steg zutreiben lassen musste. Schlauch abgerollt, Tank aufgeschraubt. Der Automat fraß auch wieder nur 50ct-Münzen. Einwerfen, Knopf neben dem Wasserhahn drücken, aufdrehen und – nichts. Kein noch so wildes Drücken, Klopfen oder Drehen brachte dieses Teil dazu, auch nur einen einzigen Tropfen Wasser auszuspucken. Ratlos stapfte ich zum Schuppen des Hafenmeisters, doch hier war niemand. Ein freundlicher Bauarbeiter wies uns an einen älteren Herrn mit Pudelmütze, der plaudernd etwas abseits stand. Dies sei der frühere Hafenmeister, den sollte ich fragen. Gesagt, getan. Er löste sich denn auch mit einigen Minuten Verzögerung aus seinem Gespräch, stand ebenfalls ratlos vor der Säule, warf dann noch einmal eine Münze ein – und o Wunder: Das Wasser plätscherte munter in unseren Tank. Was vorher los gewesen war, konnte sich keiner erklären; der Seniorchef vermutete, das Wasser sei wohl über Nacht eingefroren gewesen, und warnte uns im weiteren Verlauf unserer Plauderei noch davor, bei dem Wind die Müritz zu befahren. Mit unserem fetten Stahlboot und dieser Motorisierung sei das zwar letztlich wohl kein Problem, aber die an die Chartergäste vermieteten Dingerchen mit dem 20- oder 30-PS-Außernborder und der großen Segelfläche würden hoffnungslos abgetrieben und landeten dann im Flachwasser, auf Steinen oder „sonstwo“. Abgefüllt legten wir um 12.40 Uhr ab. Ein Anruf bei Rick&Rick Bootsservice ergab die Auskunft, dass der Hafenmeister bis 13 Uhr Mittagspause habe und uns dann gerne zum Abpumpen empfinge. Also plätscherten wir gemütlich parallel zum Ufer nach Norden. Mir trieb derweil das Anlegemanöver den Angstschweiß auf die Stirn. Zwar sprang der Kai mit der Absauganlage etwas neben der Slipanlage vor, aber er war wegen des Schilfgürtels nur direkt vom See aus anzufahren. Zwar lag er durch den Wald etwas im Windschatten, aber der Wind würde uns dennoch wegtreiben. Da sich der Absaugstutzen an unserer Steuerbordseite befand, war es zweckmäßig, mit dieser Seite anzulegen. Also kein Nutzen des Radeffektes. Die Einfahrt in die angrenzende Steganlage schien mir für ein kühnes Wendemanöver auch zu eng. Also entschied ich mich wieder, im spitzen Winkel achteraus zur Mauer zu fahren und dann – hoffentlich rechtzeitig – mit einer gekonnten Drehung nach Steuerbord irgendwie richtig zu liegen zu kommen. Bei der Anfahrt auf den Hafen winkte der Hafenmeister schon. Ich bugsierte das Boot vorsichtig achteraus gegen den Wind und kam genauso hervorragend wie nutzlos fünf Meter vom Steg entfernt zum Stehen. Sorgenvoll beobachtete ich ständig die Echolotanzeige, denn ich hatte keine Ahnung, ob der Tiefgang ausreichen würde. 0,9…0,8…0,7 – allmählich wurde mir mulmig. Ich hatte keine Ahnung, wo genau sich der Messfühler für das Echolot befand, und wenn die Schraube in flacherem Wasser bereits Grundberührung hätte, während das Echolot noch sorgenfreie Tiefen anzeigte, hätten wir ein gewaltiges Problem! Wieder backbords abgedreht, nochmal versucht. Der Hafenmeister gab mir eindeutige Zeichen, wann ich vor, zurück, mit Ruderlage so oder so und wann mit BSR zu manövrieren hätte. 0,9…0,8…0,7…0,6…Einfach nicht daran denken! Schließlich gelang es den Kindern, die Leinen zu ihm hinüber zu werfen. Gewonnen! Es war erst 12.50 Uhr, aber die letzten Minuten waren mir wie Stunden vorgekommen. Die Öffnung aufzuschrauben, den Rüssel festzuhalten und das Abpumpen zu verfolgen, war dann keine wirkliche Herausforderung mehr. Mir war nur nicht ganz klar, wieso ein Boot, das nur binnen gefahren wird, zwar 700 Liter Diesel und 500 Liter Frischwasser mit sich führt, aber nur einen halb so großen Fäkalientank hat. Im Prinzip war der Tank ja nach 24 Stunden bereits annähernd voll gewesen, und wir konnten uns beim besten Willen nicht vorwerfen, besonders verschwenderisch geduscht, gespült oder ge… zu haben. Mit anderen Booten müsste man ja fast zweimal täglich abpumpen, dachte ich mir. Nachdem ich für die Veranstaltung noch meine 10,50 € gelöhnt hatte, ging es um 13.05 Uhr wieder zurück Richtung Fürstenberg. Ursprünglich hatten wir noch einen Abstecher in Richtung Rheinsberg geplant, aber da ich das Wohlwollen der Schleuse Regow nicht noch ein zweites Mal auf die Probe stellen wollte, mussten wir umplanen. Als offizielles Betriebsende der Schleuse Regow war 16 Uhr angegeben. Um zu vermeiden, aufgrund einer Gegenschleusung und eventueller Wartezeit nicht mehr durchzukommen, peilte ich morgen 15 Uhr als Ankunftszeit daselbst an. Damit stellte sich die Frage: wo übernachten? Ankern wollte ich wegen des Windes nur sehr ungern. Und um zeitlich auf Nummer Sicher zu sein, wollte ich noch heute die Schleuse Strasen passiert haben. Was blieb? Die Marina Naturferiendorf? Hatte auf dem Hinweg gestern irgendwie abweisend ausgesehen. Der Yachthafen Priepert? Zu teuer. Ich hoffte stattdessen auf ein stilles Plätzchen im Oberwasser der Schleuse Steinhavel. Doch dazu später. Zunächst ging es gemütlich wieder zurück. Um 13.45 verließen wir den Zotzensee und gelangten wenig später an die Wartestelle Diemitz, wo wir während der laufenden Gegenschleusung verweilten. Um 14.15 konnten wir dann einfahren. Einige Sekunden später brach kurze Panik aus: Die Fender hingen backbords quer und viel zu hoch und mussten in Windeseile auf Wasserspiegel und senkrechte Position abgesenkt werden. Aber wofür hat man flinke Kinder? Beim Abwärtsschleusen dann der nächste brenzlige Augenblick: Die Kante der Schleusenwand besitzt einen in die Kammer ragenden Wulst, der uns bei der Bergschleusung gar nicht aufgefallen war. Jetzt drohte dieser Wulst, uns trotz der Fender Rumpf und Reling zu zerkratzen. Mit vereinten Kräften gelang es uns, das Boot soweit von der Wand zu drücken, dass nichts mehr passieren konnte. Kurze Zeit später hatte sich der Puls wieder normalisiert, die Schleusentore öffneten sich und wir konnten unsere Passage Richtung Canow fortsetzen. Die Uhr zeigte 14.25 Uhr. 25 Minuten später machten wir an der Wartestelle Canow fest, weil wir eine Gegenschleusung abwarten mussten. Derweil machte mich meine Crew darauf aufmerksam, dass kurz vorher auf der rechten Fahrwasserseite eine Zwei-Stunden-Liegestelle ausgeschildert war. Da wir eigentlich nun Mittags- und Kaffepause zusammen machen wollten, zog ich es vor, den Warteplatz zu verlassen, das Boot zwanzig Meter zurückzusetzen und dann backbords am Liegeplatz festzumachen. Dieser befindet sich in einem Havelarm, der zu einem Wehr führt. Schätzungsweise vier oder fünf Boote unserer Größe könnten dort Platz finden, dachte ich. Als wir uns es nach dem Mittagessen gemütlich und uns über den Kuchen her gemacht hatten, piepste es plötzlich aus den Bordlautsprechern hysterisch, dann war alles tot. Kein Licht, keine Instrumentenanzeige, kein Radio – nichts mehr. Totaler Stromausfall! Nach einigen Sekunden Schockstarre half dann nachdenken: Wir hatten nichts gemacht, es konnte also nur etwas Einfaches oder etwas Furchtbares sein. Gottseidank kamen wir sehr schnell auf die Lösung des Problems: Unsere Tochter war beim Essen mit der Ferse eines Fußes versehentlich an den Bordnetz-Hauptschalter gestoßen, der sich unter ihrer Sitzbank befand. Alsdann löste sich sehr schnell der Schock in Wohlgefallen auf: Hebel umgelegt, alles in Butter. 16.02 Uhr. Wir legten ab und einige Meter weiter an der Wartestelle wieder an – wieder eine Gegenschleusung. Um 16.20 Uhr dann Einfahrt, zehn Minuten später Ausfahrt aus der Schleuse Canow; 17.08 Uhr Einfahrt in die Schleuse Strasen (ohne Wartezeit), 17.17 Uhr Ausfahrt. Kurz darauf passierten wir ein Schild der Marina Strasen, es gebe dort freie Liegeplätze, aber ich wollte jetzt doch versuchen, im Oberwasser der Steinhavelschleuse liegen zu können. Ein Anruf dort genügte – kein Problem, wenn wir ganz am Ende – oder ganz am Anfang, je nach Sichtweise – der Wartestelle lägen. Um 18.35 Uhr war es dann soweit. An einem der idyllischsten Flecken der Havel konnten wir in einer kleinen Einbuchtung ganz am Anfang der Wartestelle festmachen. Kein Windhauch hatte den Mut, die Wasseroberfläche zu kräuseln. Die Sonne schien uns eine Freude machen zu wollen und tauchte das Bett der Steinhavel wie in flüssiges Gold. Meine Frau und ich verließen das Schiff und vertraten uns ein wenig die Beine. Die Ruine der Steinhavelmühle wirkte wenig einladend, aber ein kleiner Hügel zog uns magisch an. Dort setzten wir uns auf einen Baumstamm und genossen die zerbrechliche Zeitlosigkeit eines jener zärtlichen Augenblicke, die so schön sind, dass in ihnen die Zeit stillzustehen scheint. Welche Ruhe, welch herrliche Natur, welch wunderschöner Sonnenuntergang! Ich war jedoch hundemüde und verabschiedete mich an diesem Abend bereits vor 22 Uhr in die Koje, während meine Familie noch die einen oder anderen Spielerunden absolvierte. Donnerstag, 20.4. Ich habe wie ein Ratz gepennt, egal wie schmal hier irgendwelche Betten auch sein mochten, und wache gegen halb sieben auf. Draußen ist bis auf Vogelgezwitscher alles ruhig und friedlich. Vorsichtig schleiche ich mich nach oben in den Salon, um niemanden aufzuwecken, und blicke hinaus. Die Havel bietet ein Bild des Friedens. Das Licht der aufgehenden Sonne lässt die Hänge des Ufers goldbraun erstrahlen. Auf dem Wasser fließen flache Nebelschwaden wie feine Gespinste geheimnisvoll hin und her. Wie in Zeitlupe verändert sich der Eindruck des Flusseinschnittes mit dem Sonnenstand. Fasziniert sauge ich jeden dieser Momente in mich auf. Es ist ein Geschenk, so etwas zu erleben! Kurz nach neun Uhr tuckerte wieder ein Betriebsboot des WSA Eberswalde havelaufwärts an uns vorbei. Wir ließen uns mit dem Frühstück noch etwas Zeit und fuhren erst um 9.35 Uhr in die Schleuse Steinhavelmühle ein und gute zehn Minuten später wieder aus. Im Kriechgang (vulgo: Standgas) ging es dann weiter havelabwärts, über den Röblinsee und an die Schleuse Fürstenberg, wo wir wieder einmal eine Gegenschleusung abwarten mussten. Dieses Mal dann misslang mir das Anlegen backbords – warum auch immer –, und so blieben wir eben an der rechten Wand. Ausfahrt um 10.54 Uhr. Weiter ging es über Baalensee und Schwedtsee in die Siggelhavel. Bei der Vorbeifahrt an der Eisenbahnfähre wurde ich gewahr, dass die kleinen Becken der ehemaligen Fähre als Liegestellen für Sportboot genutzt werden können. Hätte ich das mal früher gewusst! Warum steht sowas in keiner Karte? Nach einer Runde im absoluten Gammeltempo über den Stolpsee machte ich eine 180°-Drehung vor der Schleuse Himmelpfort und sah, dass sich auch hier auf der linken Seite gegenüber der Schleusenwartestelle einfache Liegeplätze befinden. Merken! Um 12 Uhr verließen wir den Stolpsee und krochen wieder einmal hinter einem dieser „Freecamper“ her. Um 12.55 erreichten wir die Schleuse Bredereiche, in die wir drei Minuten später auch einfahren konnten. Dieses Mal stellten wir uns geschickter an und fädelten beide Leinen um Stangen, sodass das Abwärtsschleusen fast schon langweilig war. Um 13.15 Uhr öffneten sich die Tore – Ausfahrt. Da die Havel an dieser Stelle genug Platz bot und ich vom ewigen Herumgeschleiche ermüdet war, wollte ich den Freecamper überholen, der schon etwas auf die Seite gefahren war. Hebel kurz Richtung Tisch geschoben, der Motor heulte freudig auf – zwei Sekunden später musste ich jedoch erschrocken feststellen, dass ich hinter der Uferbefestigung ein entgegenkommendes Paddelboot völlig übersehen hatte. Nicht auszudenken, was hätte passieren können! Kleinlaut blieben wir nun lieber hinter dem Gefährt mit Wohnwagen huckepack. Da wir ohnehin vorhatten, nach Durchqueren der Schleuse Regow im dortigen Unterwasser Mittagspause zu halten, würde sich das „Problem“ bald von selbst lösen. Um 14.15 Uhr war es dann soweit. Wir legten an und gönnten uns bei herrlichem Wetter eine gemütliche Pause. Leider hatte der Ziegenkäsehof unter der Woche geschlossen, sodass wir uns nur die Ziegen ohne Käse aus der Ferne anschauen konnten. Während dieser Zeit beobachtete ich auch die Anzeigetafel der Schleuse etwas genauer. Manchmal versagte die untere der beiden Zeilen. Ob das der Grund für die Betriebszeitbeschränkung war? Denn rein von der technischen Funktion der Schleuse an sich war von einer Havarie nichts zu bemerken, es war auch keinerlei Personal tagsüber vor Ort zu sehen. 15.45 Uhr Ablegen, eine halbe Stunde später Erreichen der Schleuse Zaaren. Abwarten einer Gegenschleusung. 16.25 Uhr Einfahrt, 16.37 Uhr Ausfahrt. Gegen 17 Uhr erreichten wir dann die letzte Schleuse (Schorfheide). Hier, dachte ich, müssen wir gar nicht festmachen, denn ein Boot kam uns gerade aus der Schleusenkammer entgegen. Die Ampel zeigte jedoch unbeeindruckt weiter doppelrot. Plötzlich schlossen sich die Schleusentore wieder, obwohl keinerlei Schiff zu sehen war. Da wurde mir klar, dass die Schleuse ja nur so schlau ist wie die Leute, die sie bedienen, und wenn keiner einen Anforderungshebel zieht, geht sie eben wieder zu, um bei einer weiteren Bergschleusung Zeit zu sparen. Also fuhr ich an die Wartestelle am anderen Ufer, Hebel gezogen, Tore gingen auf, Ampel grün, alles gut. Um 17.12 Uhr verließen wir die Kammer nach der immerhin achtzehnten und letzten Schleusung unserer Tour. Da wir noch Zeit hatten, bogen wir in Richtung Kuhwallsee ins Templiner Wasser ab. Vorsichtig tastete sich unser Schiff zwischen den lichten Wäldern hindurch. Um 17.40 Uhr erreichten wir dann den großen Kuhwallsee, wo wir eine kleine Runde drehten und uns anschließend endgültig auf den Rückweg machten. Auf der restlichen Strecke blendete uns die tiefstehende Abendsonne fast, während sie zauberhafte Sonnenstraßen auf das Wasser malte. Die Familie war mir buchstäblich wieder aufs Dach gestiegen und genoss von dort die zauberhafte Havelniederung, in warme Decken eingemummelt. Punkt 19 Uhr legten wir dann am Gasthaus „Zur Fähre“ in Burgwall an, wo wir nach einem guten Abendessen auch unsere letzte Nacht zu verbringen gedachten. Freitag, 21.4. Der Zeitpunkt für die Rückgabe des Bootes – neun Uhr früh – diktierte den strammen Zeitplan des Morgens. Gegen sieben Uhr ein einfaches Frühstück, danach das Einsammeln und Packen aller Habseligkeiten: emsiges Gewusel auf unserem Stahlpott. Um 8.25 Uhr legten wir dann ab. Ein kurzer Anruf in der Marina. Es war 8.35 Uhr, als wir an dem Tankstellenkai anlegten, aber es dauerte noch weitere gute zehn Minuten, bis sich jemand vom Hafenpersonal blicken ließ. Diese Zeit konnten wir nutzen, um unser Gepäck wieder ins Auto zu laden, das direkt an der Marina auf uns wartete. Dann ging es ans Abpumpen des Abwassers und anschließend ans Tanken. Mein Mut sank von Minute zu Minute. Unerbittlich ratterte das Zählwerk Liter um Liter herunter. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass der Motor gut und gerne seine 5-6 Liter pro Betriebsstunde verbrauche, bei Vollgas gerne auch mal das Doppelte, und die Dieselheizung natürlich sowieso. Was denn der Liter Diesel koste? „Schaunse mal um die Ecke auf die Säule…“ Mich traf der Schlag: 1,619 €, rund 50 ct über Straßenpreis. Warum das hier so teuer sei? Naturschutz- und Trinkwassereinzugsgebiet, lautete seine Antwort, und damit verbundene Sicherheitsauflagen, regelmäßige Kontrollen, beschränktes Tankvolumen… Ich war mir nicht so ganz sicher, ob nicht auch eine gewisse Gewinnerzielungsabsicht (vulgo: Abzocke) gegenüber den Charterkunden eine Rolle spielen könnte, hielt aber lieber meinen Mund, solange das Boot nicht formell zurückgegeben war. Wenigstens konnte ich meine 245 Euro „Nebenkosten“ des Vergnügens mit EC-Karte bezahlen, sonst hätte ich wohl den Rest der Saison Boote putzen müssen, weil mein Bargeld bei weitem nicht mehr gereicht hätte. „So, und jetzt parkense mal det Boot um und fahrn da mal drüben inne Box rin.“ Mist! Ich hatte inständig gehofft, das Anlegen rückwärts in die Box würde mir erspart bleiben, war dies doch der große Schwachpunkt meiner ohnehin bescheidenen Manövrierkünste. Aber was blieb mir übrig? Ich drehte eine kleine Runde im Hafenbecken, stoppte natürlich wieder mal viel zu spät auf aus Angst, mit dem gedrehten Heck den Steg zu rammen, und kam dafür nur um Haaresbreite an einer benachbarten Yacht vorbei, weil mich der mäßige bis frische Wind ständig von der Leeseite des Steges wegtrieb. Endlich lag das Schiff dann aber doch unfallfrei dort, wo es hingehörte. Nun kam das Entscheidende: Hatte ich doch irgendwo mit der Schraube gekratzt, mit dem Bug geschrammt…? Quälend lange Minuten vergingen, doch die Schraube war in Ordnung, der Rest ebenfalls. Eine Unterschrift – fertig. Die Kaution war gerettet! So endete unser viereinhalb-Tage-Törn dann doch noch glücklich. Nachdem ich mir noch eine fünffach sich wiederholende Standpauke angehört hatte wegen meines eher semiprofessionellen Einparkens in der Box konnten wir mit unserem Auto abdampfen. Was ist Autofahren doch einfach… Rückblickend muss ich sagen, dass es ein einerseits sehr schönes, andererseits aber auch sehr lehrreiches, nicht jedoch wirklich entspannendes Erlebnis war. Wahrscheinlich kommt die Erholung erst mit der Routine. Allgemein muss ich freimütig bekennen, dass ich den Charterbootstourismus als sehr zweischneidiges Schwert kennengelernt habe. Einerseits gönne ich den strukturschwachen Gebieten von Herzen ihre Einnahmequellen. Andererseits ist er in dieser Form grob fahrlässig. Ich habe wenigstens die Sportbootscheine „See“ und „binnen“ erworben, fühle mich aber bezüglich der Bootspraxis alles andere als ausreichend ausgebildet. Zwei Fahrstunden genügten, um mich die Prüfung fehlerfrei bestehen zu lassen – eigentlich ein absoluter Witz. Wenn ich mir nun vorstelle, dass reihenweise unerfahrene Menschen nach einer offiziell drei-, in der Realität aber wohl nicht selten mehr als einstündigen Einweisung Boote fahren dürfen, die locker mal 35 Quadratmeter Grundfläche haben, meist sehr windanfällig sind und sich kaum sinnvoll beherrschbar manövrieren lassen, kommt mir das so vor, als würde man jemanden, der bisher nur Fahrrad gefahren ist, nach einer kurzen Einweisung mit dem 30-Tonner-LKW fahren lassen. Wir wissen nicht, wie es nun mit unseren Bootsurlauben weitergehen wird. Wahrscheinlich werden wir abwechselnd gemütliche Bade- bzw. und Gammeltour- und ambitioniertere Fahrtenwochen machen. Jetzt sind aber erstmal andere Ziele und Aktivitäten angesagt, außerdem besteht das Leben ja auch nicht nur aus Urlaub. Zudem finanzieren wir mit dem Geld, das wir jetzt in die paar Tage Boot gesteckt haben, normalerweise vier Wochen Ferienwohnung an der Nordsee - oder in der Uckermark. Nachdenklich, zufrieden, aber auch noch etwas unschlüssig klappe ich das Logbuch zu – bis wann auch immer. Es sind noch viele Seiten frei. Geändert von Musikbaer (23.04.2017 um 13:13 Uhr)
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